Regelmäßig fahre ich mit meinem Fahrrad über den Zentralfriedhof. Gerade vor Allerheiligen und in den darauffolgenden November-Tagen ist der Friedhof in der Dämmerung lichterfüllt, gleichsam einem Lichtermeer. Mich berührt dieses Bild. Zeigt es doch, wovon der Mensch im Tiefsten lebt. Menschen bringen Kerzen zu den Gräbern, weil sie das Dunkel und die Kälte überwinden wollen durch Licht und Wärme. Der religiöse Gedanke sagt:
Der geliebte, verstorbene Mensch hat die Dunkelheit des Karfreitags überwunden und ist eingetreten in das Licht der Unendlichkeit Gottes. Welch ein hoffnungsvolles und tröstliches Wort. Menschen sehnen sich nach einem solchen Wort. Es richtet sie auf und gibt ihnen Mut, in Dankbarkeit und Zuversicht ihren Weg zu gehen. Darum bringen sie Kerzen ans Grab.

Heute haben mir in einem Beerdigungsgespräch die Ehefrau, die Tochter und die Schwiegertochter des Verstorbenen erzählt, dass der geliebte Mann, Vater, Schwiegervater im Lebenshaus in Münster gestorben ist. Besonders beeindruckt hat sie das Verabschiedungs-Ritual. Die ganze Familie, einschließlich der Enkelkinder, stand mit einer Kerze um das Totenbett, der Verstorbene ist gleichsam vom Licht umringt und es entstanden Gefühle wie Wärme, Dankbarkeit und Hoffnung. Geliebter Mensch, Licht hast du durch dein Leben in unser Herz und in unsere Welt gegeben und nun bist du ins Göttliche Licht eingetreten. Für mich symbolisieren die Kerzen:
„Geliebter Mensch, wir glauben, du kannst nicht tiefer fallen als in die Hände Gottes. Unsere ausgestreckten Hände mit den Kerzen wollen dir den Weg weisen ins Leben, ins Licht.“
Wer so Abschied von dieser Welt nehmen kann, der ist gesegnet.

Ein drittes Bild vom Friedhof. Wieder fahre ich mit meinem Fahrrad und eine Frau und ein Mann kommen mir mit dem Fahrrad entgegen. Die Frau fährt vorne, dreht ihren Kopf nach hinten und ruft ihrem Mann zu:
„Fahren wir zuerst zu deinen oder zu meinen Eltern?“
Ein Grab kann ein wunderbarer Ort der Begegnung sein. Die Frau und der Mann besuchen ihre Eltern. Wie tief hat mich dieses Wort berührt.
Wenn meine Eltern einmal sterben und ihren Platz auf dem Friedhof gefunden haben, möchte auch ich sagen: Ich fahre zuerst zu Mama und Papa, halte inne und spreche mit ihnen. Sie können mir nicht so antworten wie zu Lebzeiten, aber ich möchte glauben und vertrauen, sie hören jedes meiner Worte. Wenn sie einmal tot seid, dann spreche ich und sie hören mir zu. Darauf vertraue ich.
Und dabei wird mir deutlich: Der Tod ist das Ende des irdischen Lebens, aber nicht das Ende der Beziehung.
Oder wie es Papst Johannes XXIII. sagte:
„Die Toten gehören zu den Unsichtbaren, aber nicht zu den Abwesenden.“

Und noch ein viertes Bild.
Wenn ich mit dem Fahrrad von der Annette-Allee über den Friedhof fahre, komme ich direkt am Grab von Heinz Withake vorbei. Wie sehr habe ich ihn als Mensch und Priester geschätzt. Wir haben viele, tiefe und intensive Gespräche über das Leben und den Glauben geführt. Heinz hatte eine so wunderbare Sprache. Oft benutzte er Begriffe aus dem Fußball, um die Erfahrungen des Alltags zu beschreiben – kurze und so treffende Worte, die man behalten konnte und worüber man später noch lange nachdenken sollte. Wenn ich an seinem Grab stehe, kommen mir Tränen der Trauer, weil er als Mensch nicht mehr da ist und Tränen der Freude für das gemeinsam Erlebte. Wertschätzend, ehrlich und treu sind wir einander begegnet und das wird immer so bleiben. Beim Stehen und Innehalten an seinem Grab spüre ich immer diesen tröstenden Impuls in meinem Herzen.

Mögen alle diese Worte Ihnen Trost und Hoffnung sein. Dafür habe ich sie geschrieben.

Euer / Ihr

Thomas Laufmöller

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