In der letzten Woche haben wir die Erzählung vom barmherzigen Samariter auf uns wirken lassen. Es ist kein Zufall, dass auf diese Geschichte heute das Evangelium über Martha und Maria folgt. Die Verbindung wird ganz bewusst gezogen. Der Samariter ist der Handelnde. Durch ihn haben wir gesehen, dass Nächstenliebe ein konkretes Handeln zur Folge haben muss. Das Leben des Samariters dreht sich nicht ausschließlich um die Liebe zu Gott, sondern diese Liebe muss sich im Alltag bewähren und sich in der Begegnung mit den Menschen und der gesamten Schöpfung konkretisieren. Sie zeugt eine Verantwortung, die in aktiver Liebe ihre Anwendung findet.

Anders ist es bei Priester und Levit zu beobachten gewesen. Sie sind völlig mit ihren priesterlichen Ritualen verschmolzen und können von den Konsequenzen, die aus diesen Ritualen folgen, nicht abweichen. Ihnen fehlt die innere Stärke, sich von ihrem priesterlichen Amt zu lösen und als Privatperson, als Mensch aufzutreten. Um nach der Feier des Kultes im Tempel nicht mit Blut in Berührung zu kommen, gehen sie daher am Notleidenden vorbei. Während der Samariter innerlich frei ist und das tut, was in seinem Herzen ist, sind sie Gefangene ihres Amtes und lassen sich nicht in ihren Herzen berühren. Die Aufmerksamkeit, die sie Gott im Tempel geschenkt haben, erfährt keine praktische Verwirklichung in der Liebe zu den Menschen und zur gesamten Schöpfung. Jesus kritisiert diese Haltung und preist die Reaktion des Samariters.

Im Evangelium von Martha und Maria verhält es sich genau andersherum. Jesus ist zu Gast bei Martha und Maria und tadelt Martha, obwohl sie alles für sein Wohlbefinden unternimmt. Ich verstehe Menschen, die sich über dieses Evangelium ärgern, weil Gastfreundschaft für sie ein hohes Gut ist. Gerade aus dem Orient oder aus südlichen Ländern kommen wir begeistert zurück, weil wir dort gastfreundlich bewirtet wurden. Man lernt dort von Kindesbeinen an, was es heißt, einen Gast freundlich zu empfangen und zu bewirten. Martha weiß, was es heißt, ihren Gast Jesus mit Essen und Trinken zu versorgen und es ihm so bequem wie möglich zu machen. Warum begegnet Jesus ihr nicht mit derselben Anerkennung, die er dem Samariter entgegengebracht hat?

Der eigene Frust über die Schroffheit, mit der Jesus Martha tadelt, überdeckt allzu leicht die Möglichkeiten neuer Wege, auf die uns das Evangelium führen möchte. In ein und demselben Text können niemals alle Intentionen ausgedrückt werden. Mit dem barmherzigen Samariter will Jesus uns vermitteln, dass der Glaube Hand und Fuß haben muss. Aber das ist nur die eine Seite der Medaille. Anhand des Beispiels von Martha und Maria wird uns die zweite Seite der Medaille aufgedeckt. Zum geistlich-religiösen Leben gehört nicht nur die Hilfe für den Nächsten, sondern auch eine Innerlichkeit. Im Mittelalter hat man daher zwischen der vita activa und der vita contemplativa unterschieden. Der barmherzige Samariter repräsentiert den aktiven Aspekt des geistlichen Lebens; Martha soll dem kontemplativen Aspekt des geistlichen Lebens nachkommen, den Maria bereits verkörpert. Einmal wird der Schwerpunkt auf das Handeln gelegt, im zweiten Fall auf das aufmerksame Zuhören. Der hl. Benedikt sprach von „Ora et labora“, also von „Bete und arbeite“. Beide Aspekte sind wichtig: das äußere Tun und das innere Gefasstsein.

Legt man die beiden Evangelien nebeneinander, so wird deutlich, dass Jesus die Menschen über ihr eigenes Ich befragt: Liegen die beiden Aspekte von Aktion und Kontemplation in einer guten Balance in meinem Leben? Müsste ich auf einen der beiden Aspekte mehr achten? Menschen neigen dazu, dem aktiven Leben mehr Raum zu geben. Darum weist Jesus Martha in diesem Evangelium darauf hin, dass sie die Innerlichkeit neben all ihren zuvorkommenden Aktivitäten nicht aus dem Blick verlieren darf. Jesus ist zu Martha und Maria gekommen, um sich mit ihnen auszutauschen. Er möchte ihnen sicherlich persönliche Dinge mitteilen, sie mit den beiden teilen. Darum wünscht er sich, dass sowohl Maria als auch Martha ihm zuhören. Dafür müssen sie sich ihm ganz zuwenden und dürfen sich nicht von anderen Dingen ablenken lassen. Um Jesus zu verstehen, braucht es bei ihnen die Bereitschaft, sich in ihn hineinzuversetzen, den Weg in sein Inneres zu gehen, indem sie selbst innerlich werden. Dafür ist jetzt die Zeit.

Wir merken selbst, dass wir oftmals viele Dinge gleichzeitig zu tun versuchen. Dadurch wird aber auch vieles oberflächlicher. Wenn wir nicht ganz bei einer Sache oder bei einem Menschen sind, erreichen wir niemals die notwendige Tiefe, die die Sache oder der Mensch in diesem Augenblick braucht. Jesus möchte uns daran erinnern, dass wir einem anderen immer unser ganzes Herz schenken sollen, wenn wir seine Not wenden möchten. Dann gilt es, alle Aktivitäten ruhen zu lassen, die eigenen Gedanken zu sammeln, sich dem anderen ganz zuzuwenden und ihm zuzuhören.

Das Entscheidende ist in manchen Situationen nicht, dass wir immer wieder neue Dinge zu essen und zu trinken holen, sondern dass wir innehalten, aufmerksam sind, einander wirklich zuhören, nicht unterbrochen werden und so die geschenkte Zeit miteinander verbringen. Ein altes Sprichwort sagt: „Reden ist Silber – Schweigen ist Gold“. Dem kann ich nicht zustimmen. Diese Wertung wird der Komplexität des Lebens nicht gerecht. Manchmal ist es wichtig, dass man aufsteht, dass man redet, dass man Farbe bekennt. In anderen Momenten ist es wichtig, still zu werden, zu schweigen und sich ganz dem Inneren des anderen zu widmen. Wir müssen lediglich herausfinden, welche Seite der Medaille gerade jetzt nach oben schauen sollte. So gedeutet, ist der schroffe Tadel, den Jesus an Martha richtet, verständlich. Er erhofft sich, Martha etwas in ihr Herz legen zu können, und wünscht sich auf der anderen Seite wichtige Impulse von ihr für sein eigenes Leben. Mal reden – mal schweigen, mal tun – mal zuhören. Alles zu seiner Zeit! Das ist der christliche Weg und jeder muss selbst herausfinden, ob Aktion und Kontemplation in seinem Leben in einer guten Balance liegen.

Martha und Maria

16. Sonntag im Jahreskreis

Lk 10,38-42

Euer / Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

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