Weihnachten ist in jedem Jahr die Einladung an uns, mehr und tiefer Mensch zu werden. In die Tiefe unseres Menschseins gelangen wir durch die Liebe. Sie ist ein Prozess, der immer weiter und tiefer voranschreiten kann. Natürlich können wir diesen Weg an jedem Tag gehen. Aber Weihnachten richtet unseren Blick noch einmal deutlicher auf das Leben Jesu. Wir sind eingeladen, unser Leben und unser Menschsein in sein Licht zu stellen. Wenn wir uns in seinem Licht betrachten und seine Liebe für uns übernehmen, können wir zum Segen für uns und für andere werden.

Der christliche Glaube kann uns Wurzeln und Flügel schenken. Ich las bei Goethe sinngemäß, dass Kinder Wurzeln und Flügel brauchen, meine aber, dass das für alle Menschen gilt. Was bedeutet dieser Gedanke für Sie? Wenn ich mir Wurzeln vorstelle, so sehe ich ein festes Fundament. Wurzeln geben uns Halt und einen festen Stand. Sie ermöglichen uns Standhaftigkeit, so dass wir in Momenten, in denen es notwendig ist, einen klaren Standpunkt vertreten können. Wir bleiben aufrichtig, auch wenn es schwer ist. Wir sagen auch dann die Wahrheit, wenn wir dafür Konsequenzen einstecken müssen. Wir müssen damit rechnen, dass Menschen unseren aufrechten Weg durchkreuzen und uns Angst einflößen wollen. Mit festen Wurzeln unter unseren Füßen kann uns dies weniger leicht umwerfen.

Hinzu kommt das Bild der Flügel, die unserem Weg Leichtigkeit schenken können. Wurzeln halten uns fest, Flügel machen uns frei. Sie eröffnen uns neue Horizonte, denen wir gelassen entgegengleiten können. Natürlich sind wir nur insofern frei, als wir die Freiheit des anderen nicht durch unser Leben einschränken. Wenn unsere Wurzeln uns mit Liebe erfüllen, verlieren wir den anderen niemals aus dem Blick, selbst wenn wir hoch in den Lüften kreisen.

Betrachten wir diese beiden Bilder aus christlicher Perspektive heraus, so lassen sich die Wurzeln unseres Glaubens auf eine Person zurückführen. Jesus von Nazareth, dessen Geburt wir an Weihnachten feiern, vermag es, uns auf besondere Weise mit Gott zu verbinden. Er hat ganz aus der Liebe Gottes heraus gelebt und diese Liebe für uns konkret werden lassen. Sie ist die Wurzel unseres Seins. Was wird geschehen, wenn Generationen heranwachsen, die diesen Jesus, sein Leben und seine Botschaft nicht mehr kennenlernen werden? Welche Auswirkungen wird es auf unsere Gesellschaft haben, wenn wir unsere Kinder um Jesus ‚betrügen‘? Das Leben Jesu war ein außergewöhnliches und großartiges Vorbild für uns Menschen. Seine Liebe hat die Gesellschaften der letzten 2000 Jahre geprägt. Gregor Gysi bemerkt: „Ich glaube nicht an Gott, aber ich fürchte mich vor einer gottlosen Welt“. Eine gottlose Welt bedeutet im christlichen Sinn, dass die Liebe verloren gegangen ist. Das ist in der Geschichte immer wieder geschehen – sei es während der Kreuzzüge, sei es in den Kriegen der jüngeren Vergangenheit oder der Gegenwart, sei es im alltäglichen Miteinander. Wenn wir solche Worte wie jene von Gysi hören, sind wir aufgefordert, in uns selbst hineinzuschauen und zu prüfen, welche Bausteine der Liebe, des Friedens und der Versöhnung wir in die Welt hineinlegen können.

Wenn wir an Weihnachten eine Krippe betrachten, die die Geburt Jesu darstellt, so kann sie uns zum Beispiel einer Herberge der Menschlichkeit werden. Ich möchte Sie ermutigen, Weihnachten vor der Krippe zu verweilen, um die Menschlichkeit auch in Ihren Herzen groß zu machen. Die ersten Krippenbauer haben das Licht aus dem Inneren der Krippe nach außen strahlen lassen. Dieses Licht bedeutet Leben und Liebe. Aus Liebe zu den Menschen hat Gott sich als Kind in dieser Welt offenbart. Er hat uns damit ein Zeichen für einen Neuanfang geschenkt. Machen wir uns das bewusst, so werden wir daran erinnert, dass wir selbst in jedem Moment immer wieder neu anfangen können zu lieben. Selbst wenn unser Leben auf die schiefe Bahn geraten ist, können wir einen Neuanfang in Liebe wagen.

Weihnachten ist ein Zeichen dafür, dass wir von Gott beschenkt werden. Er neigt sich uns zu, um uns auf unserem Weg zu stärken. Im Lied „Zu Bethlehem geboren“ heißt es in einer Strophe: „Dich wahren Gott ich finde in meinem Fleisch und Blut“. Gott hat uns seine Liebe in unsere Herzen hineingelegt. Er geht uns unter die Haut. Wenn wir tief in uns hineintauchen, werden wir erkennen, wer wir wirklich sind und was unser Leben ausmacht. Wir sind zutiefst mit ihm verbunden, in ihm verwurzelt, und verwirklichen diese Verbindung in jedem Augenblick, in dem wir lieben. Weihnachten kündigt somit die Botschaft der Bergpredigt schon an. Sie strahlt gewissermaßen als Licht aus der Krippe heraus. „Selig die Sanftmütigen“ und „Selig, die Frieden stiften“ leuchtet es in unsere Herzen. Vor der Krippe sind wir eingeladen, unsere Herzen mit diesen Worten Jesu reicher zu machen. Dann leben wir ganz aus unseren Wurzeln.

Jesus möchte uns neben diesen Wurzeln aber auch Flügel schenken. Er möchte uns unsere Flügel nicht stutzen, sondern er weitet unsere Herzen mit seinem Geist. Mit weitem Herzen weitet sich auch unser Blick von uns selbst weg auf den anderen hin. Der Glaube motiviert uns, selbst den Schritt hinaus ins Weite zu wagen. Gott führt uns dabei. Ich denke hier an ein Bild aus Psalm 91. Dort heißt es von Gott: „Er beschirmt dich mit seinen Flügeln, unter seinen Schwingen findest du Zuflucht“. Wie ein Adler seine Fittiche über seine Jungen ausbreitet, so finden auch wir Schutz unter Gottes Flügeln und können zuversichtlich und hoffnungsvoll in die Weite fliegen. Selbst wenn es gerade dunkel um und in uns ist, können wir im Glauben darauf vertrauen, dass wir geführt und getragen werden. Wir fliegen mit den Flügeln der Hoffnung dem Morgen entgegen. „Glaube ist wie ein Vogel, der singt, während die Nacht noch dunkel ist“, sagt Tagore daher.

Ich möchte Sie noch einmal dazu einladen, selbst einige Zeit vor der Krippe zu verweilen und sich vom Licht des Kindes berühren zu lassen. Spüren Sie Ihre Wurzeln? Wachsen Ihnen Flügel? Vielleicht möchten Sie Weihnachten als Gelegenheit nutzen, darüber nachzudenken und sich darüber auszutauschen, in welchen Momenten Ihnen die Liebe Jesu geschenkt wurde, sie sowohl verwurzelt als auch in die Weite geführt hat. Mögen wir uns Menschen suchen, die dieses Licht des Glaubens, der Hoffnung und der Liebe ehrlich und wahrhaftig ausstrahlen. Sie leben auf Gott hin und wir tun gut daran, mit ihnen unseren Weg zu gehen. Und mögen wir selbst anderen Menschen mit unserem Licht der Liebe zum Segen werden.

Spuren meiner Kindheit – Kinder brauchen Wurzeln und Flügel

Weihnachten 2022

Lk 2,1-14

Euer / Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

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