„Alt werden ist nichts für Feiglinge“, so wird es oft leichtfertig und salopp gesagt. Wenn das Alter dann kommt und dem Menschen immer mehr die Grenzen aufgezeigt werden, wird es schwer, diese Realität anzunehmen. Menschen werden heute älter, sie müssen aber auch damit leben – und das ist eine große Herausforderung – mit den Erschwernissen des Alters umzugehen.

Meine Großmutter ist mit 79 Jahren gestorben. Sie konnte bis zu ihrem Tod stehend mit den Fingerspitzen zu ihren Füßen greifen. Sie ging wohl regelmäßig zum Arzt, ansonsten war ihr Alter von Dankbarkeit und Leichtigkeit erfüllt. In ihren früheren Jahren musste sie hart arbeiten, es blieb ihr kaum Zeit für sich selbst, das änderte sich im Alter – welch ein Geschenk, welch ein Segen. An einem Sonntag hat sie sich mittags wie gewohnt hingelegt und „Augenpflege“ betrieben – wie sie es immer liebevoll formulierte. Dabei ist sie einfach eingeschlafen und ich ergänze: „Bei Gott wieder aufgewacht“. Alt werden ohne deutliche, schmerzhafte Grenzen erfahren zu müssen, sterben wie einschlafen, Tod erster Klasse, wie sehr wünschen wir uns das.

Bei Pastor Lothar Heiser war das leider ganz anders. Er ist mit 88 Jahren verstorben.  Die Altersgebrechen schritten voran, er konnte nicht mehr allein in der Wohnung leben, zu viele ‚körperliche Baustellen‘ zeigten sich. Schreckliche Erlebnisse gerade aus den Kriegsjahren kamen zusätzlichhoch. „Alt werden ist nichts für Feiglinge“. Es war auch für mich sehr schmerzhaft, das mit anzusehen und auszuhalten zu müssen. Das schaffte nur die Liebe. Denn: „Die Liebe schafft alles, trägt alles. Sie hört niemals auf“ (1 Kor 13). Ich weiss, dass damit die göttliche Liebe gemeint ist. Ich weiss aber auch, dass diese, seine Liebe, in uns ist. Wir Menschen, unser Leib, unser Inneres, ist von Gott beseelt. Daran möchte ich mich immer wieder erinnern und um diese Liebe bitten, die Gott in mich hineingelegt hat, die da ist, aus der ich leben darf. Mit seiner Unterstützung, seinem Geist, der in mir ist, gelang es , Lothar bis zum letzten Atemzug treu zu begleiten. Ich gab zurück, was er mir zuvor geschenkt hatte.

Aus dieser Erfahrung mit meinem priesterlichen Freund, Lothar Heiser, wurde mir für mein eigenes priesterlichen Leben deutlich: Du musst in deinen starken Jahren ehrliche Beziehungen aufbauen, die treu und wahrhaftig sind. Menschen, die da sind, wenn du nicht mehr kannst, wenn du Hilfe und Unterstützung brauchst, wenn die Welt über dir zusammenbricht, wenn fast nichts mehr geht. Gerade für das priesterliche Leben ist das entscheidend. Sonst stehst du irgendwann alleine da. Das Bistum unterstützt dich nur in finanzieller Hinsicht in Form der Pension, alles andere musst du vorher selbst vorbereiten.Ich habe mein Priesteramt bewusst und entschieden zurückgegeben, weil ich in den Strukturen dieser Kirche meine Berufung nicht mehr leben kann. Aber auch die leidvollen Erfahrungen mit meinem Freund und Wegbegleiter Lothar waren ein Baustein für diese Entscheidung. Ohne Heimat, ohne die Erfahrung der Geborgenheit, kann der Mensch nicht leben.

„Alt werden ist nichts für Feiglinge“, das stimmt, dafür gibt es viele Beispiele. Ich werde versuchen, in den noch ‚jungen und starken Jahren meines Lebens‘, die Beziehungen zu den Menschen, die mich stützen und tragen, wenn ich alleine nicht mehr weiter weiss zu intensivieren. Ich weiss, das ist keine leichte Aufgabe für alle Mitgehenden. Ich wünsche mir selbst im Alter und in der Krankheit eine innere Haltung der Zufriedenheit und Dankbarkeit, die den Mitgehenden hilft, an mir dranzubleiben und mich zu begkeiten. Die geschenkte Liebe kommt zurück und schenkt allen Mitgehenden neue Kraft. Das ist ein wunderbares Gefühl und eine tiefe menschliche Erfahrung. In meiner jetzigen Lebensphase möchte ich meine Zeit und Energie so gut wie möglich Menschen in den verschieden Grenzsituationen schenken. Lothar war  einer davon und ich lebe das mit der göttlichen Zusage: Die Liebe hört niemals auf.

Euer / Ihr

Thomas Laufmöller

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