Im heutigen Evangelium begegnen wir dem Zöllner Zachäus. Wenn ich ihn genauer betrachte, fallen mir drei Eigenschaften auf. Zachäus ist vor allem ein Suchender. Er sucht die Liebe Jesu Christi, weil er in seinem Herzen gespürt hat, dass von Jesus eine besondere Kraft ausgeht. In ihm ist das Vertrauen gewachsen, dass eine Begegnung mit Jesus ihm Segen und Heil schenken wird. Darum macht er sich auf den Weg, um Jesus zu suchen. Es gibt einen wunderbaren Psalm: „Gott, mein Gott bist du, dich suche ich, es dürstet nach dir meine Seele. Nach dir schmachtet mein Fleisch wie dürres, lechzendes Land ohne Wasser. Darum halte ich Ausschau nach dir“ (Ps 63,2f). Solch eine Suche treibt Zachäus an.

Der Glaube beginnt, wo der Mensch zum Suchenden wird, wo er der Liebe Jesu Christi sein Herz öffnet. Wenn ich ein Kind taufe, schenke ich ihm und seinen Taufpaten und Taufpatinnen immer eine Muschel. Sie soll an den Apostel Jakobus erinnern, zu dessen Grab in Santiago de Compostela die Menschen bis heute pilgern. Wie sie, so soll auch der Täufling sich in seinem Leben auf die Suche nach Gott begeben. Solch eine Suche steckt tief im Herzen des Zachäus. Darum klettert er auf einen Feigenbaum, an dem Jesus vorbeikommen soll, und lässt sich dort von ihm finden.

Seine zweite herausstechende Eigenschaft ist seine Distanziertheit. Er steht nicht in der ersten Reihe der Gemeinde. Natürlich weiß er von seiner eigenen Schuld. Er hat auf Kosten anderer Menschen gelebt und schämt sich dafür. Glauben setzt voraus, dass der Mensch auf seine Armseligkeit schaut. Erst wer sich den eigenen Grenzen öffnet, steht zu seinem Menschsein. Jeder Mensch hat Armseligkeiten. Die eigene Wahrhaftigkeit verlangt es, diese anzunehmen. Jesus hat sich vor allem diesen Armseligkeiten unseres Lebens zugewandt, um sie zu heilen. Dafür muss der Mensch sie ihm aber offenbaren. Zachäus sitzt versteckt im Feigenbaum, weil er seine Armseligkeit erkannt hat. Er sitzt aber genau in dem Feigenbaum, der auf Jesu Weg liegt. Trotz seiner Distanziertheit ist er offen für das Heil.

Drittens ist Zachäus ein Wartender. Er muss viel Geduld aufbringen. Auch wenn er sicher ist, dass Jesus an diesem Feigenbaum vorbeikommen wird, kennt er den genauen Zeitpunkt nicht. Er muss geduldig Ausschau halten. Glaube ist mit Warten und Abwarten verbunden. Eine Frau hat mir einmal aufgebracht erzählt, sie würde nun schon seit drei Wochen beten und bisher sei nichts passiert. Ähnliches kennen wir sicherlich von uns selbst. Es gilt aber, Gott zu vertrauen, dass er seine eigenen Wege für jeden Menschen hat und dass wir geduldig darauf warten müssen.

Es zeichnet Jesus aus, dass er immer sehr aufmerksam durch das Leben gegangen ist. Auch wenn die Massen sich um ihn herum versammelt haben, hat er nie den Blick für das Detail verloren. So auch im heutigen Evangelium. Die Menschen umringen ihn und trotzdem sieht er den versteckten Zachäus im Feigenbaum sitzen. Jesus schaut in diesem Moment nicht nur aufmerksam auf seine eigene Position, auf sein eigenes Leben, sondern er ist wachsam, was das Leben derjenigen angeht, die mit ihm gehen oder ihm begegnen.

Jesus nimmt Zachäus wahr und statt es dabei zu belassen, geht er einen Schritt auf den Zöllner zu. Er schaut ihn mit liebenden Augen an und möchte ihm begegnen. Wenn ein liebender Blick unsere Augen trifft, werden wir im Herzen weit. In der Kommunionkatechese kam einmal die Frage auf, was geschehen wäre, wenn Jesus den Zachäus mit erhobenem Zeigefinger angeschaut hätte. Damals antwortete ein Kind: „Dann wäre er noch höher den Baum hinaufgeklettert“. Zachäus hätte sich seinen Fragen nicht gestellt, sondern wäre ausgewichen. Er hätte Angst gehabt und diese Angst hätte ihn davon abgehalten, zu den eigenen Grenzen zu stehen. Jesus macht ihm aber keinen Vorwurf, zeigt nicht auf seine Schuld, sondern wendet sich ihm zu.

Wenn Jesus als nächstes sagt, dass Zachäus vom Baum herunterkommen soll, weil er gern in dessen Haus Gast sein möchte, so ist dies Ausdruck seiner Liebe und Zu-Wendung. Jesus möchte sich Zeit für Zachäus nehmen, Nähe zu ihm aufbauen, ihm einfühlsam zuhören – gerade ihm. Mit ihm möchte Jesus seine Zeit verbringen. Er weiß, dass Zachäus sich in seinem Haus sicherer fühlen wird als auf der Straße und in der Menge.

Die Schrift erzählt wenig von dem, was sich schließlich im Haus des Zöllners ereignet. Wie stellen Sie sich die Atmosphäre dort vor? Ich meine, es ist eine liebevolle Atmosphäre, ein Klima der Wertschätzung, das den Menschen aufrichtet. Zachäus spürt, wie behutsam und einfühlsam Jesus mit ihm umgeht, und erkennt, dass ihm die Möglichkeit zur Umkehr dadurch eröffnet wird. Jesus hilft ihm, einen Neubeginn zu wagen.

Welche Fragen richtet diese Begegnung an uns? Wie gehen wir mit Menschen um, die auf den ersten Blick distanziert erscheinen? Wenden wir uns ihnen trotzdem zu? Bemühen wir uns um sie? Suchen wir diese Menschen auf, um mit ihnen gemeinsam über ihre Lebensfragen nachzudenken? Wie geht die Kirche mit Menschen um, die in offener Distanz zu ihr stehen oder versteckt bleiben, weil sie nicht auffallen möchten? Geht sie liebend auf diese Menschen zu? Meine Eltern haben mir oft gesagt, dass sie in der Kirche nur von einem strafenden Gott gehört haben. Da klettert man dann lieber weiter den Baum hinauf.

Wären Begegnungen unter Menschen und von Mensch und Kirche nicht sinnerfüllter, wenn jeder die eigenen Grenzen annehmen würde? Jesus zeigt uns, dass die Barmherzigkeit des anderen dafür unverzichtbar ist und dass wir mit seiner liebenden Unterstützung viel leichter einen Neubeginn wagen können. Wir sind eingeladen, wie Jesus die Fragenden, Zweifelnden, Suchenden zu begegnen, sie selbst aufzusuchen, um sie für die Liebe Gottes zu öffnen. Ich wünsche uns, dass wir selbst Fragende, Zweifelnde und Suchende sind und bleiben – denn so entsteht und wächst der Glaube.

Fürbitten:

Jesus von Nazareth, wie Du damals Zachäus für die Liebe erweckt hast, so gehst Du auch heute mit uns durch die Zeit:

– Für alle Menschen, dass wir unsere Grenzen und Lieblosigkeiten erkennen und zur Umkehr bereit sind.

Du sei bei uns, in unsrer Mitte, höre Du uns, Gott.

 

 

– Für uns Christen, dass wir – wie damals Zachäus – die Liebe Jesu in unser Herz hineinlassen und dann aus dieser Liebe leben und handeln.

Du sei bei uns, in unsrer Mitte, höre Du uns, Gott.

– Für alle Menschen, die an sich selbst, an den Mitmenschen und an Dir, Gott, zweifeln. Dass sie Erfahrungen neuen Vertrauens machen.

Du sei bei uns, in unsrer Mitte, höre Du uns, Gott.

– Für alle, die die Grenze des Todes überschritten haben. Dass sie Dich, Jesus Christus, nun in der ganzen Fülle Deiner Liebe erkennen.

Du sei bei uns, in unsrer Mitte, höre Du uns, Gott.

Du, Christus, bleibst nah an unserer Seite im Leben und auch im Tod. Dafür danken wir Dir, heute und alle Zeit. Amen.

Zachäus – Gott lässt keinen Menschen fallen

31. Sonntag im Jahreskreis

Lk 19,1-10

Euer / Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

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