„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“

Wenn man sich in die Texte des Evangeliums hinein vertieft, dann sind diese Worte „Goldadern der Hoffnung“ – um einen Buchtitel von Franz Kamphaus zu zitieren. Es sind Worte, die das Leben des Menschen stärken möchten, die ihn korrigieren und nachdenklich machen wollen. Diese Worte versuchen, dem Einzelnen, der Menschheit und der Natur insgesamt Lebensmut zu geben. Wir leben nicht nur für uns selbst, sondern auch für andere, und wir leben in der Schöpfung, die uns anvertraut ist.

Ich möchte Sie in das Geheimnis der heutigen Schrift mit hineinnehmen. Da bietet es sich an, sich in eine der Personen zu vertiefen, die in der Erzählung vorkommen. In diesem Fall ist es ein „reicher Jüngling“, wie Luther es ausdrückt, der ein großes Vermögen besitzt. Dieser Mann sieht Jesus und fällt vor ihm auf die Knie. Dadurch drückt er seine Wertschätzung aus. Er erkennt das Geheimnis und die Liebe, die von Jesus Christus ausstrahlen, und spricht ihn mit den Worten „guter Meister“ an. Auch das ist ein Zeichen der Verehrung und der Wertschätzung. Dann stellt der junge Mann eine für die jüdische Tradition wichtige, für heutige Zeiten eher ungewohnte Frage: „Was muss ich tun, um das ewige Leben zu gewinnen?“ An dieser Frage merkt man schon, dass der Mann nicht nur im Hier und Jetzt lebt, sondern auf die Zukunft bezogen ist. Er lebt nicht allein in dieser Welt, sondern er lebt in der Sehnsucht nach einer Liebe, die keine Grenzen kennt. Mit dieser inneren Haltung begegnet er Jesus und spürt, dass dieser ein Mensch ist, der ihm Antwort geben kann.

Jesus macht sofort deutlich, dass er in jedem Augenblick seines Lebens für Gott lebt. „Warum nennst du mich gut? Niemand ist gut außer Gott, dem Einen“, entgegnet er. Das kann natürlich auch als leichte Zurechtweisung der Weltsicht des reichen Mannes gewertet werden. Jesus kommt es darauf an, von sich weg und auf Gott hinzuweisen. Ein ähnliches Muster zeigt sich bei seinem Verweis auf die Gebote. „Du kennst doch die Gebote. Du sollst nicht töten, du sollst nicht die Ehe brechen…“ Es war im Judentum damals ausgemachte Sache, dass es entscheidend für die Gottesbeziehung ist, streng nach den Geboten zu leben. Jesus möchte aber deutlich machen, dass die Kenntnis und das Einhalten der Gebote zu wenig ist. Denn es fehlt die Bezogenheit zum Himmel. Wer die Gebote hält, ist gut im irdischen Sinne. Jesus geht es um mehr. Es geht ihm um das Herz des Menschen, um eine innere Haltung, die mehr ist, als es das Gesetz sagt und vorschreibt.

Die entscheidende Antwort von Jesus auf die Frage des Mannes folgt auf dieser Basis. Sie geht an das Herz des Menschen und stellt einen Bezug zum Reich Gottes her: „Geh, verkaufe, was du hast, gib das Geld den Armen… Dann komm und folge mir nach“. Diese Antwort beendet das Gespräch allerdings ganz plötzlich. Der reiche Jüngling geht traurig davon. Wir kennen das in unserem Leben: Wenn es ums Geld geht, hört der Spaß auf. Jesus erwartet mehr von diesem Mann als das Einhalten der Gebote, und er weiß, dass dieser mehr geben kann. Der junge Mann aber zuckt zusammen und geht fort.

Vor einiger Zeit habe ich mit einer Psychologin gesprochen. Sie sagte, dass drei Säulen das menschliche Leben oft zutiefst zerstören. Die erste Säule ist das Geld. Die zweite Säule ist die Macht. Die dritte Säule ist zerstörend gelebte Sexualität. Sie bemerken sicher sofort, wie sehr diese drei Säulen auch die Kirche gerade treffen. Über Geld, Macht und Sexualität kann man Menschen beeinflussen, sie abhängig machen, sie zerstören.

Jesus greift das Vermögen und den Besitz an bzw. er weist auf, worin die Schwierigkeiten von Reichtum liegen und wer wirklich reich ist. Dabei hat er nicht in einer vergleichbaren Armut wie Johannes der Täufer oder der hl. Franziskus gelebt. Diese Radikalität hat er für sich nicht gefordert. Er hat auch niemals gesagt, dass man keine Reichtümer haben darf. Er hat mit den Menschen Feste gefeiert und das Leben genossen. Es ist ihm aber wichtig zu zeigen, dass Reichtum und Vermögen einen Einfluss auf das Leben haben und es zerstören können. Martin Luther sagt: „Woran du dein Herz hängst, das ist dein Gott“. Wer sein Herz an das Geld hängt, der wird merken, dass dieses Geld sein Leben bestimmt. Manche Menschen müssen für sich selbst feststellen, dass sie nur noch von Zahlen leben, dass sie ausschließlich damit beschäftigt sind, das eigene Vermögen zu vergrößern und zu regeln. Sie irren in der Annahme, dass sie mit Geld ihr Leben absichern können. Wir spüren sofort, wie trügerisch es ist zu denken, man könne Halt und Kraft im Geld finden. Oftmals verliert der Mensch dadurch einen Teil seiner Seele. Wenn Geld das Leben eines Menschen bestimmt, prägt das nämlich seine Seele. Das Wort ‚Kapital‘ kommt vom lateinischen ‚caput‘. Das heißt übersetzt ‚Kopf‘. Wer in seinem Kopf – oder in seinem Herzen – nur noch Euros hat, der wird sein Leben und das eigene Sein dadurch bestimmen lassen.

Denken wir auch an das Wort ‚privat‘. Es stammt vom lateinischen ‚privare‘. Übersetzt heißt das ‚rauben‘. Das Private wurde der Gemeinschaft geraubt. Der junge Mann hat ein großes Privatvermögen, das er gewissermaßen der Gemeinschaft geraubt hat. Darum fordert Jesus ihn auf, es mit anderen Menschen zu teilen. Wer viel hat, kann auch viel geben, statt um sich selbst zu kreisen und alles für sich allein zu nehmen. An dieser Stelle greift Jesus in das Herz des reichen Jünglings und macht ihm deutlich, dass ihn die Gebote nicht in erster Linie interessieren, sondern dass es um die persönlichen Möglichkeiten des Mannes geht, die Welt mit mehr Liebe und Leben zu füllen. Wer gibt, bekommt oft viel zurück. Diese Lebenserfahrung machen wir immer wieder. Geben macht glücklich.

Der Jüngling verlässt das Gespräch, weil er in sich spürt, dass er diesem Vorschlag Jesu nicht nachkommen kann. Zwar besitzt er die äußeren Möglichkeiten, aber innerlich scheint es ihm nicht möglich zu sein. Er fühlt sich überfordert. Das Leben aus der Liebe heraus ist letztlich viel anspruchsvoller als ein Leben in Übereinstimmung mit all den sonstigen Geboten, die es gibt. Jesus geht es um eine Innerlichkeit, nämlich um die Frage, wie viel Liebe der junge Mann für die Menschen und die gesamte Schöpfung in seinem Herzen hat und was er dafür tut, diese Liebe zu vergrößern.

Spätestens am Ende des Lebens erkennt jeder Mensch, dass ein großes Vermögen keine Sicherheit bringt. Das letzte Hemd hat keine Taschen. Das Einzige, was der Mensch mitnehmen kann, ist die Liebe, die er gelebt hat und die er in seinem Herzen trägt. Was wir täglich brauchen, ist die Liebe, die uns geschenkt wird, und die Liebe, die wir weitergeben. Es erfüllt das eigene Herz darum, das Leben mit anderen zu teilen und den eigenen Besitz in Freude und Dankbarkeit an andere weiterzugeben. Der Reichtum ist nicht das Materielle oder das Geld. Der Reichtum ist die Liebe im eigenen Herzen. Jesus Christus besitzt diese Liebe im Übermaß. Er kennt unsere Lieblosigkeiten und kommt uns doch immer wieder in seiner Barmherzigkeit entgegen. Vielleicht ist das der Grund, warum wir bis heute auf sein Leben schauen. Denn es ist die Sehnsucht des Menschen, Liebe im Herzen zu haben und aus dieser Liebe heraus den Lebensweg zu gehen.

„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt“, schreibt Markus im heutigen Evangelium. Es ist tatsächlich schwer, die christliche Botschaft ernst zu nehmen und die Liebe im eigenen Herzen groß zu machen und daraus zu leben. Das griechische Wort für ‚Kamel‘ kann man auch noch mit ‚Tau‘ übersetzen. Stellen Sie sich vor, wie schwer es schon ist, einen dünnen Faden durch ein Nadelöhr zu schieben. Nun ersetzen Sie den Faden durch ein dickes Tau und Sie werden merken, vor welch unlösbarer Aufgabe der Mensch in diesem Leben steht. Wenn es um die Liebe geht, stößt er an wesentliche Grenzen. Solch ein Bild mit dem Kamel bzw. mit dem Tau lässt den reichen Jüngling und auch uns selbst erkennen, wie oft er und wir die Liebe verweigern.

Das Wunderbare an Jesus ist, dass er den jungen Mann am Ende der Begegnung nicht tadelt. Stattdessen schaut er ihn liebend an, nimmt ihn gewissermaßen in die Arme. Vielleicht denkt er selbst etwas traurig: ‚Du geliebter Mensch bist noch nicht so weit. Aber du kannst immer wieder neu anfangen.‘ Der Reichtum des Lebens ist nicht das Geld, ist nicht der Besitz. Was der Mensch im Tiefsten braucht, ist jenseits dieser Welt. Der Reichtum der Liebe eröffnet uns den Weg dahin. Je mehr Liebe der Mensch im Herzen hat, desto reicher ist er bereits jetzt. Wenn wir heute diese Liebe leben und uns für die unendliche Liebe Gottes öffnen, dann erlangen wir den größten Reichtum unseres Lebens.

Wer ist ein reicher Mensch?
„Eher geht ein Kamel durch ein Nadelöhr, als dass ein Reicher in das Reich Gottes gelangt.“

28. Sonntag im Jahreskreis

Mk 10,25

Fürbitten zum heutigen Evangelium:

Gott, Dein Reich ist mitten unter uns, wenn wir uns liebend begegnen und das Leben miteinander teilen. Wir beten:

  • Für alle, die nur auf sich selbst schauen und dabei den anderen vergessen.
    Du sei bei uns in unsrer Mitte, höre Du uns, Gott.
  • Für alle, die mitfühlen, Empathie aufbringen und in dieser Weise Menschen stärken und begleiten.
    Du sei bei uns in unsrer Mitte, höre Du uns, Gott.
  • Für alle, die permanent unter Leistungsdruck stehen und dabei ungerecht und hart werden.
    Du sei bei uns in unsrer Mitte, höre Du uns, Gott.
  • Für alle, die teilen können, großzügig spenden und sich dadurch tatkräftig für bessere Lebensbedingungen einsetzen.
    Du sei bei uns in unsrer Mitte, höre Du uns, Gott.
  • Für alle, die offen bleiben für die Geheimnisse des Lebens und des Glaubens.
    Du sei bei uns in unsrer Mitte, höre Du uns, Gott.

Du Gott des Lebens, Du willst das Leben mit uns teilen. Mache uns bereit, Dich zu suchen und mit Dir zu leben.

Darum bitten wir durch Christus, unserem Herrn und Erlöser. Amen

Du sei bei uns

Euer / Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

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