Wenn Sie an Ihre menschlichen Begegnungen denken, werden Sie sicherlich bemerken, dass diese Begegnungen immer unterschiedlich ausfallen. Habe ich zu Menschen ein tiefes Vertrauen, so spreche ich anders mit ihnen als mit Fremden. Bei Freunden erwarte ich, ehrliche und wahrhaftige Worte zu hören. Ahne ich schon vorher, dass ein Gespräch schwierig werden könnte, weil der andere mich nicht versteht, fühle ich mich während der Begegnung nicht wohl. Kommende Begegnungen sind eine Gelegenheit, mich selbst auch zu hinterfragen. Bleibe ich stets wahrhaftig oder passe ich mich zu sehr an? Habe ich Angst, dass der andere meine Worte zu meinem Schaden verwenden könnte? Gibt es eine innere Haltung, die jede meiner Begegnungen prägen sollte?

Jesus war es immer wichtig, den Menschen in Wertschätzung zu begegnen. Bildungsstand oder Ansehen waren für ihn nicht entscheidend. Er war in allen Begegnungen wahrhaftig und den Menschen zugeneigt. Zeichenhaft wird das im Bericht über die Fußwaschung am Vorabend seines Kreuzestodes deutlich. Dem Evangelisten Johannes war das Zeichen, das Jesus dort gegeben hat, für die Kirche und die Gläubigen so wichtig, dass er das Abendmahl nur als Rahmen erwähnt und sich auf die Fußwaschung konzentriert hat. Jesus nimmt dort die Rolle des Sklaven ein. Welche innere geistliche Haltung verbirgt sich dahinter?

Kam zur damaligen Zeit ein Gast nach langen Fußwegen in ein Haus, hat der ansässige Sklave ihm den Staub von den Füßen gewaschen, um das Haus sauber zu halten. Wenn Jesus in die Rolle des Sklaven hineingeht, macht er einen Menschen, der für die Gesellschaft keinen Namen hat und am Rande steht, groß. Lese ich dies, fällt mir sofort die erste Seligpreisung in der Bergpredigt ein: „Selig sind die Armen…“ (Mt 5,3). Gerade diesen Menschen galt sein Blick und indem er ihnen seinen Blick geschenkt hat, war er anderen ein Vorbild oder ein Anspruch, es ebenfalls zu tun. In der Abschiedsrede, die auf die Fußwaschung folgt, überliefert Jesus seinen Jüngern und uns Christen diesen Anspruch als sein Vermächtnis.

Um seinen Jüngern die Füße zu waschen, beugt Jesus sich hinunter. Er nimmt also eine bestimmte Haltung ein, agiert nicht von oben herab, sondern macht sich absichtlich klein. Er möchte den Menschen auf gleicher Augenhöhe begegnen. In jedem Augenblick unseres Lebens sollen wir diese Haltung übernehmen – das trägt Jesus uns mit der Geste der Fußwaschung auf. Dann nehmen wir den anderen wertschätzend wahr. Dann erkennen wir in ihm, dass er Abbild Gottes ist. Kein Mensch ist mehr wert als der andere, auch nicht durch einen höheren Rang in der Gesellschaft.

Leider finden wir in unserer Gesellschaft nicht nur in der Gegenwart oft das Gegenteil vor. Es gilt das Recht des Stärkeren. Menschen spielen ihre Macht aus, wenn sie spüren, dass sie stärker sind als andere. So entstehen Kriege. Wir kennen das aber auch im Kleinen. Es finden sich überall Herren, die sich über den Dingen stehen sehen und aus dieser Position heraus über die anderen bestimmen wollen. Sie wollen einem vorschreiben, wo es lang geht. Was bedeutet das für die eigene Persönlichkeit, immer stärker als der andere sein zu wollen? Ein Blick in das Innerste eines solchen Menschen zeigt vielleicht, dass er sich selbst im Grunde klein fühlt. Vielleicht ist er selbst einmal klein gemacht worden und hat daran nicht gearbeitet. Erlangt solch ein Mensch später eine Machtposition, ist die Gefahr groß, dass er wiederum andere klein macht und erniedrigt.

Jesus geht in seiner Haltung des Dienens einen anderen Weg. Er möchte mit den Menschen im Gespräch bleiben, ihnen auf gleicher Augenhöhe begegnen.

Dostojewski vergleicht Menschen mit Engeln, die mit gebrochenen Gliedern vom Himmel fallen. Wir kommen nicht perfekt in diese Welt hinein. Im Laufe unseres Lebens werden wir weiter gebrochen und klein gemacht. Es bleibt uns nichts anderes übrig, als mit diesen gebrochenen Gliedern durch das Leben zu gehen. Damit müssen wir umzugehen lernen. An anderer Stelle sagt Dostojewski, dass ein Mensch, der für seine Sünden gebüßt hat, viel heiliger ist als jener, der nie eine Sünde begangen hat. Wer nämlich niemals gesündigt hat, hat sich bereits zum Gott gemacht. Jeder Mensch hat eine zweite Chance verdient. Aber er muss in Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit für das geradestehen, was er in seiner Gebrochenheit getan hat. Schuld sind nicht immer die anderen. Wir müssen in uns selbst hineinschauen und Verantwortung für unsere Schuld übernehmen. Wann haben wir uns nicht mit dem anderen auf gleicher Augenhöhe verständigt? Wann haben wir uns über ihn erhoben und ihn klein gemacht? Wer daran arbeitet, kann zum Segen und zum Heil für andere werden.

Der Gründonnerstag ist eine Einladung zu dienen. Der lateinische Begriff für ‚Diener‘ lautet ‚famulus‘. Unser Begriff ‚Familie‘ stammt daher. Wer in einer Familie lebt, kann gewissermaßen das Dienen üben. In einer Familie setzt sich jeder dafür ein, dass diese Gemeinschaft eine gute ist. Jeder macht, was ihm möglich ist. Das erinnert mich an den Ausspruch von Jacques Gaillot: „Eine Kirche, die nicht dient, dient zu nichts“. Gaillot hat sich selbst dienend den Menschen geschenkt und sich vor allem um die Armen und Kleinen gekümmert. Spüren wir, dass wir die Haltung des Dienens verlassen, müssen wir das reflektieren und daran arbeiten. Jesus hat uns vorgelebt, in Liebe zu dienen. Das ist sein Vermächtnis.

Auf gleicher Augenhöhe

Gründonnerstag

Joh 13,1-15

Euer / Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

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