Wir gehen in diesen Tagen dem Ende der Osterzeit entgegen. Die Liturgie setzt ganz bewusst Abschiedsworte Jesu an dieses Ende. Diese Worte können für uns von besonderer Bedeutung sein. Wenn wir von einem geliebten Menschen Abschied nehmen, haben gerade seine letzten Worte ein Gewicht für unsere Erinnerung an ihn und für unser weiteres Leben. Jesus hat seine letzten Worte tief in das Herz der Jünger und der Menschen hineingelegt. Im heutigen Evangelium wünscht er sich, dass diejenigen, die an ihn glauben, eins sind, so wie er selbst eins mit dem Vater ist.

Wir kennen es aus unserem Leben, wie tragend es ist, an einem Strang zu ziehen und in eine Richtung zu schauen. Natürlich sind wir alle unterschiedliche Persönlichkeiten und darum ist es ebenso wichtig, dass wir die daraus resultierende Vielfalt durch den Willen zur Einheit nicht unterdrücken. Einheit und Vielfalt müssen miteinander in Einklang gebracht werden. Jesus sagt uns daher genau, was er unter ‚Einheit‘ versteht: so wie er und sein Vater in Liebe miteinander verbunden sind, so sollen die Christen ihre Beziehungen untereinander leben, wenn sie ihm nachfolgen möchten. Christsein bedeutet damit letztlich, in einer liebenden Beziehung zu leben, in der man sich gegenseitig Kraft schenkt, die Freude miteinander teilt, in der man sich ermutigt und einander in schweren Zeiten beisteht, wie auch der Vater Jesus in schweren Stunden beigestanden hat.

Zu solch einer liebenden Beziehung gehören Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit. Es gilt, dem anderen ehrlich zu begegnen und ihn in seiner ganzen Wahrhaftigkeit anzunehmen. Je länger man sich in solch einer Beziehung kennt, desto deutlicher spürt man, wenn Ehrlichkeit und Wahrhaftigkeit auf einmal nicht mehr da sind. Das schmerzt sehr. Der Evangelist möchte uns vermitteln, auf die Wahrhaftigkeit in der Beziehung zwischen Vater und Sohn zu schauen und uns daran ein Beispiel zu nehmen. Gott ist die Liebe selbst und diese Liebe ist unser Weg, unsere Wahrheit und unser Leben.

Unser christlicher Glaube bedeutet wesentlich Vertrauen. Das lateinische Wort ‚fides‘ umfasst beides. Der Begriff ‚Glaube‘ ist allein etwas abstrakt. Besser könnte man sagen: ‚ich glaube dir‘ – ‚ich glaube dir in dem, was du, Jesus, uns verheißen hast‘, ‚ich glaube dir in dem, was du an Kraft, Hoffnung und Liebe in diese Welt gesetzt hast‘. Das heißt doch aber, ‚ich vertraue dir‘. Christlicher Glaube ist Vertrauen und Beziehung.

In einer guten Beziehung ist es wichtig, die Gerechtigkeit im Blick zu behalten. Diese Gerechtigkeit darf aber nicht rein juristisch für sich stehenbleiben. Als Christ ist Gerechtigkeit stets gepaart mit Barmherzigkeit, denn Gerechtigkeit ohne Barmherzigkeit ist Grausamkeit, sagt Thomas von Aquin. Der Begriff ‚Barmherzigkeit‘ trägt das Wort ‚Herz‘ in sich. Wenn wir dem anderen in Gerechtigkeit begegnen, schauen wir nicht nur auf das, was das Gesetz sagt, sondern kommen mit unserem ganzen Herzen zu ihm. Wir bringen unsere Gefühle, vor allem unser Mitgefühl mit. Das griechische Wort ‚barrein‘ schenkt uns hier ein schönes Bild. Von ihm stammt unser Wort ‚Barren‘. Ein Barren hat zwei Stangen, an denen man sich festhält. Er ist ein Tragegerät. Er trägt uns. Wenn wir barmherzig sind, tragen wir unser Herz zum anderen. Wir begegnen ihm gleichsam in Barmherzigkeit.

Was außerdem zu einer liebenden Beziehung gehört, ist, den anderen in seinen Grenzen anzunehmen und ihm Vergebung zu schenken, wenn er schuldig geworden ist. Natürlich umfasst solch eine Beziehung, in Ehrlichkeit zur eigenen Schuld zu stehen. Schuld sind nämlich nicht immer nur die anderen. Die eigenen Grenzen gilt es, im Bewusstsein zu haben, denn nur so lässt sich an ihnen arbeiten. In einer vertrauensvollen Beziehung fällt es leichter, den Mut aufzubringen, um Verzeihung zu bitten.

Gehen wir dem Geheimnis des Lebens nach, indem wir unseren Verstand einsetzen? Oder setzen wir dabei vor allem unsere Sinne ein? Erreichen wir dieses Geheimnis durch die Befolgung von Lehrsätzen, durch eine gute theologische Ausbildung, durch die korrekten Riten im Gottesdienst und durch die Sakramente? Søren Kierkegaard sagt, dass Glaube vor allem mit der eigenen, persönlichen inneren Haltung zu tun hat. In welcher Beziehung mit Gott leben wir? Vertrauen wir auf die Liebe, die von Gott ausgeht und die er in wunderbarer Weise immer wieder verschenkt? Jesus Christus hat uns gezeigt, wie Leben gelingt, wenn wir uns Gott anvertrauen. Sein Leben ist bis heute beeindruckend und berührend.

Wie einfach wäre es miteinander, wenn wir Menschen auf diese Weise leben würden. Wie gut würde es der Kirche tun, wenn sie dies an die Menschen weitergeben würde. In der Erzählung über den hl. Stephanus haben wir heute gehört, wie schnell ein Mensch, der vom Glauben erfüllt ist, aus religiösen Gründen gesteinigt wird. Stephanus, der ganz aus der Liebe zu Jesus Christus gelebt hat und ihm bis zuletzt treu geblieben ist, stand im Weg. Wenn wir einen Blick auf die Kirchengeschichte werfen, fällt auf, dass, wo auch immer die Kirche auf die Macht ihrer Struktur geschaut hat, sie den Weg der Liebe verloren hat. Als Kaiser Konstantin die christliche Religion im 4. Jh. auf eine Ebene mit den anderen Religionen des römischen Reiches gestellt hat, wurde aus einer verfolgten Kirche eine Kirche, die andere verfolgt hat. Als 60 Jahre später ein anderer Kaiser die christliche Religion zur Staatsreligion erklärt hat, wurden die Menschen zwangsmissioniert. Ein Kaiser, ein Reich, eine Religion duldete keine Religionsfreiheit. Wer dem nicht nachgekommen ist, wurde eliminiert. Als Karl der Große im 8. Jh. im Frankenreich die Sachsen missioniert hat, waren die Menschen ebenfalls nicht frei in ihrer Wahl, zum Christentum überzutreten. Lässt sich Liebe erzwingen? Setzt sie nicht Freiheit voraus?

In diesen Zeiten verlassen immer mehr Menschen, unter ihnen mittlerweile auch sehr gute Theologen, die katholische Kirche, weil sie nicht mehr länger unter dem Edikt des Bischofs oder des Papstes stehen wollen. Das Wort ‚Bischof‘ heißt im Griechischen ‚episkopos‘. Das bedeutet ‚Aufseher‘. Ein Bischof hat u.a. den Auftrag – auch durch sein Vorbild –, dafür Sorge zu tragen, dass die Menschen sich in der Liebe Jesu Christi begegnen und aus dieser Liebe leben. Da stellt sich mir die Frage, ob man Liebe kontrollieren oder mit Druck einfordern kann. Sind nicht gerade auch jene, die Aufsicht geführt haben und führen, für viel Unrecht verantwortlich, das auf diesem Weg geschehen ist? Sollte Macht nicht immer kontrolliert werden, um Unrecht zu vermeiden?

Viele fragen sich gerade, wie es zu der großen Anzahl von Fällen von Missbrauch in der Kirche kommen konnte. Ein größeres Vergehen gegen die Liebe, die Jesus vorgelebt hat, kann man sich gar nicht vorstellen. Aber auch die Rolle der Frau in der Kirche verstößt gegen die Liebe. Denn es ist eine Frage der Liebe, jedem Menschen in der Kirche einen Raum zu geben, der seinen Fähigkeiten entspricht. Die Kirche wird daran zerbrechen, wenn sie diese beiden Bereiche nicht ernsthaft angeht und Veränderungen schafft, weil die Menschen diese Verstöße nicht mehr mittragen. Sie spüren, dass sich gerade zu wenig verändert, dass die Veränderungsprozesse zu lange dauern und zum Teil sogar abgelehnt werden. In der Kirche muss sich jeder Mensch die Frage stellen, ob er dem anderen zugeneigt ist, ob er bereit ist, die Liebe mitzutragen, und ob er selbst in schwierigen Fällen bereit zur Versöhnung ist. Gerade zu diesem letzten Punkt gehört allerdings auch das Eingeständnis der Schuld durch die Verantwortlichen.

In einem Gespräch sagte mir vor kurzem ein Mensch, zum Glauben gehöre für ihn die Einheit in der Liebe, gleichzeitig aber auch die Vielfalt in den Persönlichkeiten. Wenn dies gegeben sei, brauche er keinen menschlichen Vermittler im Sinne eines Stellvertreters Jesu Christi auf Erden. Wenn es Menschen gebe, mit denen er sich im Glauben austauschen könne, die ihm auf diese Weise den Weg weisen könnten, bräuchte er nur noch das Vaterunser und die Bergpredigt, die ihm in moralisch-ethischen Fragen eine Orientierung und Stütze sind.

Jesus versichert uns im heutigen Evangelium, dass er uns so liebt, wie der Vater ihn liebt. Dies sollen wir uns im Umgang miteinander als Beispiel nehmen. Ich wünsche der Institution Kirche, dass sie sich weniger an Strukturen und weniger an Gesetzen und Strafen ausrichtet, dafür aber den Menschen mehr aus dem Herzen heraus begegnet. Dann ist sie auf der Spur, die Jesus uns gewiesen hat und die in der Einheit zwischen dem Vater und dem Sohn in wunderbarer Weise deutlich wird.

Wir beten zu Gott, dem lieben Vater:

  • Unterstütze alle, die Deine Liebe erkannt haben und diese durch ihre Worte und Taten in die Welt tragen.
  • Du Gott des Wortes, wir bitten Dich, erhöre uns.
  • Lass uns als Christen in Einheit und Vielfalt miteinander leben und einander respektieren.
  • Du Gott der Weite, wir bitten Dich, erhöre uns.
  • Gott ist die Liebe und Jesus Christus hat diese Liebe in ganz besonderer Weise durch sein Leben in die Welt getragen. Lass uns seinem Beispiel folgen.
  • Du Gott der Liebe, wir bitten Dich, erhöre uns.
  • Stärke alle, die den Frieden unter den Menschen und zwischen den Völkern suchen und aktiv fördern. Möge das Friedvolle sich letztendlich durchsetzen.

Du Gott des Friedens, wir bitten Dich, erhöre uns.

Eins sein…

7. Sonntag der Osterzeit

Joh 17,20-26

Euer / Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

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