Angesichts der Pandemie, der Umweltkatastrophen und des Krieges in der Ukraine merkt jeder Mensch, dass er an der Frage, wie er in solchen Zeiten überleben kann, nicht vorbeikommt. Er spürt seine Verletzbarkeit und muss Wege finden, mit ihr umzugehen. Jesus Christus weiß, was es heißt, Not zu durchleiden, durchbohrt zu werden. Er wurde verraten, verspottet, gegeißelt und angespuckt. Er weiß, was es bedeutet, sich hilflos zu fühlen und keinen Ausweg zu finden. Er kennt unsere Fragen und steht auf der Seite der Ausgestoßenen und Flüchtlinge. Mit seiner Unterstützung gilt es zu schauen, mit welchen kreativen Mitteln der Mensch das eigene Durchbohrt-Sein überwinden kann. Wie lassen sich Wege aus der Ohnmacht und der Angst finden? Was schenkt Hoffnung und Zuversicht?

In einem ersten Schritt muss der Mensch sich mit seinen Verletzungen auseinandersetzen. Entscheidend ist der richtige Zeitpunkt. Ein bis zwei Monate nach einem Unglück, nach einem Verlust, nach einer erfahrenen Not ist es in der Regel zu früh hinzuschauen. Denn dieses Hinschauen braucht eine innere Kraft, die in dieser Zeit noch nicht gegeben sein kann. Die Wunde muss daher erst heilen. Wird sie zu früh und zu stark strapaziert, platzt sie auf. Auf diese Weise entsteht keine Heilung, sondern noch mehr Unheil. Je stärker der Mensch ist, desto tiefer kann er spüren und zulassen, in desto tiefere Schichten seines Menschseins kann er gelangen.

Gleichzeitig muss der Mensch sich darüber im Klaren sein, dass kreative Lösungen immer individuell sind. Kein anderer kann ihm einen Weg vorgeben, sondern es muss immer der eigene Weg sein, den es zu finden gilt. Natürlich darf der Betroffene an die Hand genommen werden und Vorschläge des anderen ausprobieren, aber letztlich muss der Weg zum eigenen Wesen und zur persönlichen Heilung passen.

Kreativität bedeutet, schöpferisch auf das Leben zuzugehen. Das ist nicht möglich, wenn der Mensch permanent um das Dunkle kreist. Er darf sich im guten Sinne ab und zu ablenken, sich also von der Dominanz des Dunklen lösen. Ist es ihm möglich, schöne Bilder zuzulassen? Wie geht er schlafen? In schweren Zeiten wird deutlich, welche Menschen guttun, welche Menschen Halt und Kraft schenken, welche Menschen not-wendig sind, weil sie die Not wenden. Nach einer Zeit des Bei-sich-Seins lassen sich mit diesen Menschen Gespräche führen, in denen man sich gegenseitig zuhört, in denen aber der Betroffene abwägt und selbst entscheidet. Um sich selbst zu heilen, braucht es auf der anderen Seite Mut, sich von solchen Menschen zu distanzieren, die in schweren Zeiten nicht guttun.

Mein kreativer Weg, mit Unheil umzugehen, ist vor allem die Bewegung in der Natur, durch die ich gern spaziere oder jogge, weil das meine Seele und mein Herz entlastet. Ich arbeite gern in meinem Garten, weil es mir Freude macht, alles so zu säubern, dass ich mich wieder gut dort hinsetzen kann. Wenn ich Klavier spiele, kommen außerdem andere Gedanken und Gefühle in mein Herz hinein, die befreiend wirken. Ich lese gern, versuche dabei, die Gedanken eines anderen nachzudenken und für mich fruchtbar zu machen. Der tägliche Umgang mit den Kindern in der Schule ist ein tiefer Segen für mich, da sie mich ermuntern, aus dem Eingefahrenen herauszukommen und Freud und Leid nebeneinander zu setzen.

Auch mit den Schriften der Bibel kann der Mensch kreativ umgehen, wenn er versucht, sie zu verstehen und auf sein Hier und Heute zu übertragen. Das führt uns in die Mitte des heutigen Evangeliums: die Verklärung auf dem Tabor. Sie kann nur verstanden werden, wenn der innewohnenden Symbolik auf den Grund gegangen wird. Zwar ist das 9. Kapitel bei Lukas noch weit vom Tod und der Auferstehung Jesu entfernt, aber die Verklärung trägt trotzdem eine Auferstehungsbotschaft in sich. Lukas schreibt sie im Licht von Ostern und der Leser muss daher die innere Haltung der Auferstehung für sich einnehmen, um die Erzählung verstehen zu können. Schon vor dem Tod Jesu deutet sich eine hoffnungsvolle Botschaft an, die der Leser seinem Leben zugrunde legen kann. In diesem Zusammenhang fällt mir ein Zitat von Oscar Wilde ein: „Am Ende ist alles gut, und wenn es nicht gut ist, ist es nicht das Ende“. Ostern bedeutet, dass alles gut sein wird. Darauf dürfen wir unsere Blicke werfen. Oder ich denke an Immanuel Kants Lehre von der Unsterblichkeit der Seele. Für ihn handelt es sich hier um ein Postulat, d.h., er setzt etwas als Wahrheit, was er nicht beweisen kann. Die Botschaft des Lebens als unbeweisbare Wahrheit zu sehen und großzumachen, schafft Zuversicht und Segen.

Genau das möchte auch die Erzählung von der Verklärung erreichen:

„Etwa eine Woche nach diesen Gesprächen nahm Jesus Petrus, Johannes und Jakobus beiseite und stieg mit ihnen ins Gebirge, um zu beten. Da geschah es, als er betete, dass sich das Aussehen seines Gesichtes veränderte und sein Gewand zu leuchten anfing in einem strahlenden Glanz. Zwei Männer, Mose und Elija, traten zu Jesus und sprachen mit ihm. Sie erschienen in überhellem Licht und sprachen mit ihm über sein Geschick, über den Tod, den er in Jerusalem erleiden würde.
Petrus aber und seine Begleiter waren in tiefem Schlaf befangen, und als sie erwachten, sahen sie ihn in seinem strahlenden Licht und die beiden Männer, die bei ihm standen. Als die Erscheinungen schwanden, sprach Petrus zu Jesus: ‚Meister, es ist gut, dass wir hier sind, wir wollen drei Zelte aufschlagen, eins für dich, eins für Mose und eins für Elija.‘ Er wusste aber selbst nicht, was er da sagte. Während er aber so redete, zog eine Wolke über den Berg und hüllte sie ein, und sie fürchteten sich vor der Wolke. Eine Stimme redete plötzlich aus ihr: ‚Das ist mein Sohn, den ich mir erwählt habe, den sollt ihr hören‘, und Jesus war wieder allein. Sie aber verschwiegen das Erlebnis und erzählten niemandem in jenen Tagen, was sie gesehen hatten.“ (Lk 9,28-36)

Jesus geht mit drei seiner Jünger auf einen Berg bzw. in ein Gebirge. Mit den Fragen des eigenen Lebens muss der Mensch nicht allein umgehen, möchte dieses Bild sagen. Vertraute Menschen, die Verständnis haben, können eine gute Begleitung sein, da sie spüren, was im anderen vor sich geht, und behutsam damit umgehen. Wie in einer Prozession steigen die vier Männer den Berg hinauf, um dort zu beten. Es wird dann beschrieben, wie sich das Gesicht Jesu beim Beten plötzlich durch das Licht, das ihm entgegenkommt, verändert. Es strahlt gleichsam. Das Gesicht ist der Spiegel der Seele und wenn ein Mensch angenommen und getragen wird, strahlt die Seele dies durch das Gesicht nach außen. Hoffnung und Kraft zeichnen sich im strahlenden Gesicht Jesu ab, als sein Vater ihm mit seiner ganzen Liebe entgegenkommt. Sie kommt vom Himmel, dem die Männer auf dem Berg nah sind. Der Himmel kommt mit der Erde zusammen und lädt zum Innehalten, Nachdenken und Beten ein.

Als letztes tauchen die Figuren des Moses und des Elija in dieser Erzählung auf. Auch sie sind in ihrer Symbolik zu verstehen. Mose hat das Volk Israel aus Ägypten herausgeführt. Er ist ein Mensch, der mutig seinen Weg geht, der trotz aller Bedrängnisse seine Angst loslässt und voller Vertrauen in seine gottgeschenkte Aufgabe den Weg in die Freiheit eröffnet. Der Leser darf sich vor diesem Hintergrund fragen, ob er selbst vertrauensvoll und mutig ist, ob er die Freiheit, die Gott ihm geschenkt hat, nutzt oder ob er eher abhängig ist und sein Leben von anderen bestimmen und damit leben lässt. Elija wiederum musste erleben, wie sich das von Jahwe aus Ägypten herausgeführte Volk Israel von diesem löst und sich dem Gott Baal zuwendet, weil er als stärker empfunden wurde. Baal war ein starker Fruchtbarkeitsgott in Kanaan, dem nun das Vertrauen geschenkt wurde. Elija versucht alles, das Vertrauensverhältnis des Volkes Israel zu Jahwe wieder aufzubauen.

Überlebenskunst heißt, den Mut zu haben, auf das eigene Durchbohrt-Sein zu schauen, wenn die Zeit richtig dafür ist. Es heißt, kreativ mit dem eigenen Wesen und dem eigenen Leben umzugehen, um diejenigen Möglichkeiten zu verwirklichen, die zur eigenen Person passen und erst dadurch Segen und Heil spenden können. Es heißt, die Worte Jesu in das eigene Leben zu lassen und zu erkennen, dass sie Worte des Lebens, ja, sogar des Ewigen Lebens sind. Auf diesem Wege kann eine Hoffnung entstehen, die das Leben trägt.

Kreative Überlebenskunst

2. Fastensonntag

Lk 9,28-36

Euer / Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

Fürbitten

Christus, Du öffnest uns den Himmel. Wir rufen zu Dir:

– Jesus führt seine Jünger auf den Berg, dem Ort des Gebetes und der Gottesbegegnung. Mögen auch wir durch Gebet und Einkehr Gott suchen und erfahren.

Du sei bei uns in unsrer Mitte, höre Du uns, Gott.

– Die gegenwärtigen Krisen in der Welt erzeugen Angst und Ohnmacht. Möge der Glaube uns Ermutigung und Lebenshilfe sein.

Du sei bei uns in unsrer Mitte, höre Du uns, Gott.

– Die Jünger schwiegen über ihr Erlebnis mit Jesus am Tabor. Mögen auch wir schweigend, aber auch bekennend und bezeugend unseren Glauben zum Ausdruck bringen und miteinander teilen.

Du sei bei uns in unsrer Mitte, höre Du uns, Gott.

– Die Verklärung Jesu auf dem Tabor ist eine Ostererzählung. Wir fragen: Was kommt nach dem Tod? Stärke uns in der Hoffnung und im Vertrauen, dass unsere Verstorbenen nicht verloren, sondern uns nur einen Schritt voraus sind.

Du sei bei uns in unsrer Mitte, höre Du uns, Gott.

Bei allen Fragen und Sorgen unseres Lebens vertrauen wir auf die Liebe und Nähe Jesu Christi, der mit uns das Leben in Zeit und Ewigkeit teilt. Amen.

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