Da ist ein Mensch in Not. Was tut er? Was tun Sie, wenn Sie in Not sind? Manche machen es mit sich selbst aus. Sie ziehen sich zurück, um nachzudenken, wie sie die Not bewältigen können. Die meisten suchen Nähe, suchen Menschen, an die sie sich anlehnen können. Sie wissen, dass sie auf diese Menschen zählen können, dass sie Liebe geschenkt bekommen und dass ihre Not mitgespürt wird. In liebender Gemeinschaft lässt sich jede Not viel leichter tragen.

Eine völlig andere Vorgehensweise wird im Buch Levitikus vorgeschrieben. Das dort angeführte Gesetz ist brutal und menschenverachtend. Da es auf Mose und über seinen Weg auf Jahwe zurückgeführt wird, erhält es große Autorität. Aber wie kann ein menschenverachtendes und brutales Gesetz von Gott stammen? Wie kann Gott verlangen, dass ein Mensch, der an einem Hautausschlag erkrankt ist, aus der Gesellschaft ausgeschlossen wird und „Unrein! Unrein!“ rufen muss, wenn jemand in seine Nähe kommt? Zwar waren die Erkenntnisse der Medizin zu der damaligen Zeit noch nicht so weit fortgeschritten, dass man erkannt hat, dass Aussatz nicht ansteckend ist. Aber Aussatz wurde zusätzlich mit Schuld in Verbindung gebracht, wurde somit als Folge eines moralischen Vergehens betrachtet. Mit einem Sünder wollte und sollte niemand etwas zu tun haben. Es wurde den Menschen von klein auf eingetrichtert, dass sie, falls ein Aussätziger kommt und sie um Hilfe bittet, nein sagen müssen. Gleichzeitig wussten auch die Erkrankten, dass sie trotz ihrer Not erst gar nicht um Hilfe bitten dürfen, um das mosaische Gesetz nicht zu brechen. Kann das im Sinne Gottes sein?

Ein Kranker hat eine tiefe Sehnsucht nach Heil. Er möchte nicht von Nähe und Leben isoliert werden. Im heutigen Evangelium wird von einem Aussätzigen erzählt, der genau diese Sehnsucht in sich trägt. Aber er steht gleichzeitig unter dem Gesetz Mose und muss sich von Nähe und Leben isolieren. Das Wunder seiner Heilung geschieht, weil zwei Menschen dieses Gesetz brechen.

Das ist zuerst der Aussätzige selbst. Er erkennt seine Chance, zum Heil und somit zum Leben zu kommen. Er sieht in Jesus jemanden, von dessen Nähe Liebe und Lebenskraft ausstrahlen. Daraus erwächst sein Mut, Jesus anzusprechen und um Heilung zu bitten. Natürlich weiß er vom Risiko, das er damit eingeht. Er muss mit Beschimpfungen rechnen, weil er als Aussätziger einen anderen Menschen anspricht, sich so verhält, als sei er Teil der Gesellschaft. Der Kranke übernimmt Verantwortung für sein Leben, da das Leben ein großes Geschenk ist. Dieses Leben möchte er auch leben dürfen. Im Grunde erkennt er das wahre Wesen Gottes in seinem Vorgehen. Gott möchte, dass der Mensch das Geschenk des Lebens annimmt und gestaltet. Jeder darf eine eigene Persönlichkeit entwickeln und sie groß machen.

Der Zweite, der das Gesetz bricht, ist Jesus selbst. Natürlich hätte er nicht auf den Aussätzigen zugehen und mit ihm reden dürfen. Aber das Leid des Anderen geht ihm unter die Haut. Er ist sich dessen bewusst, dass die Krankheit weniger schlimm ist, als den Kranken in der Not alleinzulassen. Dafür nimmt er in Kauf, selbst gewissermaßen ein Aussätziger zu werden. Er verlässt die Stadt, weil ihm die Verfolgung droht. Wer den Weg der Liebe geht, statt dem Weg des Gesetzes zu folgen, wird aus der Gesellschaft ausgestoßen. Die Liebe wird zurückgewiesen. Dem kann Jesus sich nicht fügen und darum muss er das Gesetz brechen. Gegen die Liebe kann er nicht leben und handeln, selbst wenn das vordergründig schlechte Folgen für ihn hat.

Arthur Schopenhauer sagt: „Alle wahre und reine Liebe ist Mitleid“. Jesus kann nichts anderes tun, als zu lieben, und darum hat er Mitleid mit dem Aussätzigen. Er sieht in ihm den Menschen und jeder Mensch ist wichtig. Dieser Mensch hat Jesus mit seinem Leid, aber auch mit seinem Mut und seiner Bitte im Innersten berührt. Darum berührt er wiederum den Kranken und heilt ihn mit seiner liebenden Zuwendung. Hier zeigt sich eine positive Auswirkung von Leid. Ohne Leid gäbe es kein Mitleid. Leid kann Menschen zusammenführen, kann also Liebe zeugen. Das griechische Wort für „Mitleid“ ist „sympatheia“ und bedeutet, dass man bereit ist, mit dem Anderen zusammen zu leiden, dass man sein Leid als das eigene Leid annimmt. Ich möchte an dieser Stelle die Gedanken von Johann Baptist Metz anschließen. Beim Mitleiden sollte man nämlich nicht stehen bleiben. Wer vom Leid des Anderen aufgeweckt und im Innersten berührt wird, wer sich ihm in Liebe zuwendet, der muss bereit sein, mit ihm zu gehen und dessen Leid im eigenen Herzen zu tragen. Mit voller Konsequenz braucht es die Bereitschaft, den Weg des Anderen mit helfenden Händen zu begleiten.

In unserer Übersetzung heißt es: „Jesus hatte Mitleid mit ihm“. In einer anderen Übersetzung lesen wir: „Es grimmt ihn“. Mit anderen Worten, Jesus ist erbost wegen der Gesetzeslehrer, die dem Kranken sein Leben nehmen und behaupten, er sei sündig. Jesus ist sauer, weil die Gesetzeslehrer gegen die Liebe, gegen den Menschen und gegen das Leben predigen. Er selbst möchte den Menschen stark machen, vor allem denjenigen, der von solchen Gesetzen gegen die Liebe schwach gemacht wird. Jesus will die Menschen zum Leben bringen.

Welche Menschen richten Sie auf? Wo haben Sie die Liebe im Blick? Was stößt Sie ab? Wo müssen Sie noch einmal neu hinschauen? Diese Fragen stellt das Evangelium uns mit dieser Heilungsgeschichte. Jesus lässt sich vom Hautausschlag des Kranken nicht abstoßen und statt des Gesetzes hat er die Liebe im Blick. Er wendet sich dem Bittenden zu und heilt ihn. Dann bittet wiederum er, dass dieser nicht sofort darüber reden soll. Wenn uns Heil geschieht, dürfen wir dem Empfangenen erst einmal nachspüren. Wir dürfen uns eine Zeit der Ruhe und Stille nehmen, um die empfangene Liebe im Innersten groß zu machen. Erst dann können wir auch anderen Menschen – den Kranken und Schwachen, den Ausgestoßenen und Bedürftigen, den sündig Genannten und den nach Nähe und Liebe sich Sehnenden – zum Segen werden.

Euer / Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

Mut zum Leben

6. Sonntag im JK
Mk 1,40-45
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