Als Christen schauen wir besonders auf das Kreuz, gerade in der Fastenzeit und in der Karwoche. Es erinnert uns an die brutale Hinrichtung Jesu. Jetzt in der Fastenzeit ist es verhüllt, damit wir am Karfreitag einen neuen Blick darauf gewinnen. Vielleicht erinnern Sie sich an das Kreuz aus der Friedensschule, in das einige Pfeile gebohrt waren. Jesus wurde in seinem Leben immer wieder durch Pfeile getroffen. Jedes Sonntagsevangelium in der Fastenzeit ist letztlich ein Bild dafür, wie Menschen Jesus verletzt haben und wie er damit umgegangen ist. Die Pfeile beziehen sich somit nicht nur auf die Brutalität seiner Ermordung, sondern haben ihm während seines gesamten Lebens zu schaffen gemacht. Wie ist er mit diesen Verletzungen umgegangen? Was waren seine Widerstandskräfte, seine Resilienzen?

Als Christen, die sich Sonntag für Sonntag im Gottesdienst mit seinem Leben und seiner Lehre auseinandersetzen, sind wir aufgefordert, uns besonders dem leidenden Jesus zuzuwenden. Vermögen wir es, mit seinem Leid mitzufühlen, also Compassion zu leben? Je älter ich werde, umso mehr tauche ich in das Leben Jesu ein. Geistliche Musik oder die Johannes-Passion aus Speyer sind mir hier eine Hilfe. Ich versuche, mich in sein Leben hineinzuversetzen und zu erspüren, wie er mit den Pfeilen seines Lebens umgegangen ist. Ich beobachte, dass er sich in schwierigen Situationen zurückgezogen hat. Vor allem sticht mir aber die Klarheit seiner Liebe ins Auge. Wann immer ihm andere Menschen ein Leid zugefügt haben, sein Herz haben sie niemals erreicht. Als nächstes lasse ich mein Leben von seiner Liebe palliativ ummanteln. Was hat Jesu Umgang mit den Kreuzen seines Lebens mit unserem Leben zu tun? Welche Impulse können wir daraus für unser eigenes Leben gewinnen, wenn wir darüber reflektieren, wie er den Dunkelheiten des Lebens begegnet ist und sie gemeistert hat?

Im Falle des heutigen Evangeliums ist es wichtig, die sozio-kulturellen Hintergründe zu kennen. Die Erzählung der Ehebrecherin findet sich nur beim Evangelisten Johannes. War es besonders sein Anliegen, diese Geschichte zu erzählen, wohingegen sie für die anderen Evangelisten nicht so wichtig war? Wenn man sich etwas näher mit der Exegese beschäftigt, erfährt man, dass auch Johannes diese Geschichte nicht selbst aufgeschrieben hat. Es muss wohl Kreise in der johanneischen Gemeinde gegeben haben, die der Ansicht waren, dass diese Geschichte unbedingt in das Evangelium aufgenommen werden muss. Ich kann mir das nur dadurch erklären, dass diese Kreise erkannt haben, dass die Aussage der Geschichte das Wesen Jesu besonders herauszustellen vermag. Sein Umgang mit der Ehebrecherin ist gewissermaßen sein Steckbrief, seine Visitenkarte.

Dieser Umgang zeigt, dass Gott eine Leidenschaft für die Menschen hat. Er ist nicht nur Freund der Lieben und Guten, sondern auch der Grenz-Menschen, der Dirnen, Zöllner und Sünder. Wir sehen, dass die Liebe für Jesus das Größte ist. Er überschreitet Grenzen und Gesetze aus Liebe zu den Menschen, findet für sie Sonderwege oder Umwege, statt starr an der sittlichen Regel und ihrer Niederschrift im Gesetz zu haften. Das bedeutet nicht, dass er das Gesetz außer Kraft setzt. Er will es erfüllen und möchte es mit dem Herzen der Liebe deuten.

Das Alte Testament denkt und beurteilt das menschliche Leben stark aus dem Gesetz heraus. Je besser der Mensch das Gesetz lebt, desto näher ist er bei Gott. Daraus sind immer wieder Konflikte zwischen Jesus auf der einen Seite und den Pharisäern und Schriftgelehrten auf der anderen Seite entbrannt. Eines Tages kommen die Schriftgelehrten zu Jesus und stellen eine junge Frau vor ihn. Mit ausgestrecktem Finger klagen sie sie an: ‚Wir haben sie gerade auf frischer Tat beim Ehebruch ertappt‘. Ich stelle mir sofort die Frage, wo der Mann ist, der ebenfalls am Ehebruch beteiligt war. Warum zeigt man mit dem Finger nur auf die Frau? Schaut man die Bücher Mose an, so ist beides Mal von Mann und Frau die Rede: „Wenn jemand sich mit der Frau seines Nächsten vergeht, dann sollen der Ehebrecher und die Ehebrecherin mit dem Tode bestraft werden“ (Lev 20,10) und „Wird der Mann dabei angetroffen, dass er einer verheirateten Frau beiwohnt, so sollen beide sterben“ (Dtn 22,22). Das ist eine harte und brutal tötende Strafe. Sie kostet das Leben, denn wenn Gefühle über dem Gesetz ständen, wäre dies der Beginn von Anarchie. Natürlich waren es immer Männer, die das Gesetz ausgelegt haben, und bei Johannes haben sich diese Schriftgelehrten offensichtlich dazu entschieden, den Mann außen vor zu lassen, obwohl auch er sich schuldig gemacht hat. Die Frau ist in unserem Fall Mittel zum Zweck: eine Art Lockvogel. Jesus soll wie so oft eine Falle gestellt werden – ein Pfeil, den er aushalten muss. Er muss um die Liebe und die Wahrhaftigkeit kämpfen, während die Schriftgelehrten diese Liebe immer wieder zurückdrängen wollen. Immer wieder wollen sie die Macht ausspielen oder Jesus in Versuchung bringen. Er steckt in einem Dilemma. Er wird von den Schriftgelehrten, die das Gesetz in- und auswendig kennen, mit dem Gesetzesverstoß der Frau konfrontiert und soll dazu Stellung nehmen. Er könnte nun entweder sagen, dass das Gesetz größer ist. Das wäre der Tod für die Frau. Oder er könnte sagen, dass die Liebe größer ist. Dann würde man ihm vorwerfen, dass er sich für größer als Mose hält, der im Judentum als höchster Prophet galt.

Wie geht Jesus mit diesem Dilemma um? Er bückt sich und schreibt mit seiner Hand auf den Steinboden. Er nimmt sich erst einmal Zeit, um über die Frage nachzudenken, und zieht sich daher mental zurück. Dadurch wendet er für einen Augenblick den Druck ab und kann sich konzentrieren, um Fehler zu vermeiden. Er geht in eine innige Gebetshaltung zu seinem Vater. Die Quelle seiner Resilienz ist Gott. Von ihm erhofft er sich Hilfe in der Frage, wie er die Liebe zu den Menschen weiter leben kann, während diese ihm eine Falle stellen wollen. Jesus sucht eine Lösung, mit der er die Härte aus den Herzen der Menschen herausholen kann. Er wünscht sich mehr Milde und Barmherzigkeit in ihren Seelen. Gleichzeitig versucht er, sich in die Situation der Menschen hineinzuversetzen. Stellen Sie sich vor, dass es sich um ein Mädchen im Alter von etwa 20 Jahren handelt, das ertappt wurde. Stellen Sie sich vor, ihre Mutter stände daneben und müsste die Steinigung mitansehen. Ihr Herz würde zerbrechen. Ich meine, all das befindet sich im Herzen Jesu, als er sich niederbeugt, um die Liebe des Vaters bittet und die Sorge der jungen Frau und ihrer Familie in den Blick nimmt. Außerdem bedeutet der Name Jesus: „Gott rettet“. Jesus will die Frau retten vor der Grausamkeit des Gesetzes und den daraus folgenden Konsequenzen.

Gestärkt richtet Jesus sich auf und spricht die entscheidenden Worte: „Wer ohne Sünde ist, der werfe den ersten Stein“. Das Evangelium wandert von der Ehebrecherin zu Jesus und nimmt im dritten Schritt die Ankläger in den Mittelpunkt. Jeder einzelne von ihnen soll seine Haltung hinterfragen und in sein Herz schauen. An dieser Stelle weiß keiner, wie die Geschichte ausgehen wird. Entweder kommen die Ankläger zu sich selbst oder sie gehen an sich selbst vorbei, lassen die Frage nicht zu und gehen dann als Konsequenz – im wahrsten Sinne des Wortes – über Leichen. Gott sei Dank hat Jesus die richtigen Worte gefunden. Er schafft es, das Herz dieser Männer zu öffnen. Sie verlassen den Ort nachdenklich, vielleicht sogar reumütig, und lassen die Frau in Frieden.

Wie gehen wir mit den Bedrohungen und Härten des Lebens um? Wie erlangen wir Widerstandskraft? Jesus zeigt uns, dass wir unser Herz vom liebenden Vater verwandeln lassen sollen. Das wird uns in schweren Zeiten tragen und uns bei Konfrontationen helfen, den Menschen gegenüber zugewandt und barmherzig zu sein. Gott ist die Liebe selbst und er möchte uns immer wieder helfen, die Liebe in unserem Leben groß zu machen.

In einem Gebet heißt es:
„Gott, forme unser Herz nach Deinem Herzen!“
Jesus selbst hat sein Herz von der Liebe des Vaters formen lassen – das war immer seine Kraftquelle. Mögen auch wir unser Herz vor Gott ausbreiten. Es wird uns, der gesamten Menschheit und der ganzen Schöpfung zum Segen.

Resilienz – Ein widerstandsfähiger Umgang mit den Brüchen und Verletzungen des Lebens

5. Fastensonntag

Joh 8,1-11

Euer / Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

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