Jesus hat die Menschen aufgerichtet. Er hat ihnen Selbstbewusstsein und Selbstvertrauen gegeben. Auf der anderen Seite hören wir in der Schrift des Weisheitslehrers Jesus Sirach heute davon, dass der Mensch bescheiden sein soll. Auch Jesus hat stets bescheiden gelebt. Können Selbstbewusstsein und Bescheidenheit miteinander harmonieren? Oder widersprechen diese beiden Lebenshaltungen einander, wie es auf den ersten Blick den Anschein hat?

Im heutigen Evangelium dreht sich alles um das Gedränge um die besten Plätze. Auch unter den Jüngern scheint es einige gegeben zu haben, die die Ersten sein und die Ehrenplätze einnehmen wollten. Heute würde man dazu sagen, dass sie Karriere machen wollten. Es war ihr Anliegen, dass man ihre Fähigkeiten wahrnimmt und feiert, dass man sie in den Vordergrund rückt und sie ein gutes Ansehen genießen können.

Vor etwa zehn Jahren las ich ein Interview mit dem Regens eines Priesterseminars. Er wurde gefragt, wo es noch Priesterberufungen gebe. Seine Antwort war: „Dort, wo der Priesterberuf mit einem sozialen Aufstieg verbunden ist“. Es hat mich ernsthaft betroffen gemacht, ja, geschockt, diese Worte zu lesen. Wenn es sich mit den Gründen für die Wahl des Priesteramtes tatsächlich so verhält, wird verständlich, warum die Kirche an vielen Stellen krank ist. Der entscheidende Grund dürfte doch nicht die eigene Karriere, das eigene Ansehen sein, sondern der Wille, den Menschen und Gott nach Kräften zu dienen und mit dem eigenen Herzen nah bei ihnen zu sein.

Wer im eigenen Leben nur danach schaut, wie es nach oben gehen könnte, der muss sich im Klaren darüber sein, dass es genau so schnell wieder abwärts gehen kann. Wer hoch hinaus will, wird bald aus allen Wolken fallen. Hochmut kommt vor dem Fall, sagt ein bekanntes Sprichwort. Wen stört es eigentlich, die Nummer zwei zu sein? Warum wird die Nummer zwei in der Gesellschaft als eine Art Verlierer behandelt? Ist es ein Grund zur Beschämung, den ersten Platz nicht erreicht zu haben? Lohnt es sich daher beispielsweise bei Fußballmeisterschaften gar nicht mehr, um den Platz drei zu spielen, weil alles andere als der erste Platz peinlich ist? Es gehört zum Leben dazu, zu gewissen Zeiten oben zu sein und zu anderen Zeiten wieder unten.

Das Leben hat mit Balance zu tun. Hat ein Mensch viel Selbstbewusstsein, besteht die Gefahr, dass er arrogant, abgehoben oder überheblich wird. Wer nur auf den eigenen Erfolg ausgerichtet ist, ist nur bei sich selbst. Er verliert den anderen und seine Bedürfnisse aus den Augen. Er missachtet die Liebe. ‚Selbstbewusstsein‘ heißt doch aber, sich seiner selbst bewusst zu sein. Ein Mensch, der sich seiner selbst bewusst ist, reflektiert über sich selbst und erkennt, dass er neben seinen Stärken auch Schwächen hat. Er weiß, dass seine Wahrnehmung der Wirklichkeit nur eine Sichtweise ist, die immer wieder in Frage und zur Diskussion gestellt werden kann und sollte.

Der Mensch braucht ein gesundes Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein für sein Leben und darum hat Jesus sich gerade den Schwachen und Kleinen zugewandt. Sie wollte er stärken. Ihm zufolge sollte es sowieso das Ziel allen Selbstbewusstseins sein, die eigenen Fähigkeiten zu erkennen und schließlich den anderen damit zu unterstützen. Auf diese Weise kann Jesu Auftrag, die Welt mit Liebe zu erfüllen, verwirklicht werden.

Auf der anderen Seite braucht der Mensch Bescheidenheit. Wenn er über sich selbst nachdenkt und sich seiner selbst bewusst wird, kommt er unumgänglich zu der Frage, woher er seine Fähigkeiten hat. Aus christlicher Sicht sind sie dem Menschen geschenkt worden. Er ist nicht nur ein Aktiver, ein Schaffender, sondern primär ein Empfangender. Keiner hat alles aus sich selbst heraus. Der gläubige Mensch weiß, dass er Geschöpf ist, dass er also in ‚liebevoller Abhängigkeit‘ zu Gott steht, der ihm seine Wirklichkeit schenkt. Gott hat seine Liebe in den Menschen hineingelegt und ihm jeweils besondere Talente geschenkt. Aus diesem Beschenkt-Sein soll er leben und handeln. Natürlich trägt der Mensch auch selbst etwas zur eigenen Identität bei und er lässt sich gleichzeitig von anderen Menschen prägen, aber sein Fundament ist nicht dem eigenen Fleiß, der eigenen inneren Größe und Stärke erwachsen, sondern Gottes schöpferischer Liebe zu verdanken.

Bescheidenheit bedeutet dann, sich mit all den eigenen guten Fähigkeiten Gott hinzuwenden, um ihm dafür zu danken. Wenn wir spüren, dass sie anderen zum Wohl dienen können und gelingende Begegnungen aus ihnen entstehen, dann wäre es fatal, dies allein auf den eigenen Fleiß zurückzuführen. Liebe kann man sich nicht erarbeiten. Liebe wird immer geschenkt. Das gilt sowohl für die Liebe, die uns in gelingenden Begegnungen von anderen Menschen erreicht, als auch für die Liebe Gottes, die diese Begegnungen erst ermöglicht hat. Im Bewusstsein, dass letztlich alles Wesentliche von ihm kommt, dürfen wir uns voller Bescheidenheit in sein Licht stellen.

Jesus selbst hat immer den letzten Platz eingenommen. Er ist den Menschen liebevoll und dienend begegnet. Das sieht man an der Fußwaschung; das spitzt sich in der Kreuzigung zu. Er hat sich demütigen lassen, um die Liebe nicht zu verraten. Das spiegelt auch der Philipperhymnus des Apostels Paulus wider: „Seid untereinander so gesinnt, wie es dem Leben in Christus Jesus entspricht: Er war Gott gleich, hielt aber nicht daran fest, Gott gleich zu sein, sondern er entäußerte sich und wurde wie ein Sklave und den Menschen gleich“ (Phil 2,5-7). Diese Haltung hat er uns zum Beispiel gegeben.

Das heutige Evangelium möchte uns außerdem vermitteln, dass wir nicht nur diejenigen zu einer Feier einladen sollen, die viel Geld haben, nicht nur diejenigen, die zu unseren Freunden gehören. Denn bei ihnen wäre die Wahrscheinlichkeit groß, dass sie uns etwas für unsere Einladung zurückgeben, uns ebenfalls einladen. Vielmehr fordert uns das Evangelium auf, die Armen und Kranken von der Straße einzuladen und mit ihnen zu feiern. Jesus stellt uns Menschen die Frage, ob wir bereit sind, auch mit den Kleinen und Schwachen zu leben. Möchten wir unser Leben mit den Armen teilen, auch wenn wir von ihnen finanziell nichts zurückbekommen? Jesus ist diese Frage wichtig, weil er sich dessen bewusst ist, dass Menschen einander prägen. Wenn Reiche ausschließlich mit Reichen in Kontakt kommen, werden sie aneinander nur mit ihrem Hang zum Besitz prägen. Im Priesterseminar wurden wir daher einmal gefragt, ob wir einen wirklichen Kontakt zu einem armen Menschen in der Stadt haben. Der Umgang mit anderen Menschen bestimmt unser Leben und unser Wesen. Die Reichen sollen nicht nur unter sich sein, sondern sich von den Armen und Schwachen prägen lassen. Dadurch soll ihr Leben eine andere Nuance und eine neue Lebendigkeit bekommen. „Selig, ihr Armen“, lesen wir in der Feldrede im Lukasevangelium (Lk 6,20). Anders als Matthäus in der Bergpredigt meint Lukas hier nicht die Armen im Geiste, sondern die finanziell Armen. Sie sind zum Fest des Glaubens eingeladen, damit wir uns von ihnen prägen lassen.

Gott möchte, dass wir aufrecht und selbstbewusst unseren Weg gehen. Vor der Gefahr der Überheblichkeit sollen wir uns dabei schützen. Ein bescheidener Blick auf die eigenen Fähigkeiten zeigt, dass wir in allen Bereichen Beschenkte sind und bleiben. Mögen wir auf unserem Lebensweg immer wieder mit Menschen zusammenkommen, die uns darin schulen, uns von der Weisheit der Armen und Schwachen prägen zu lassen. Auf diese Weise können wir den Weg des Glaubens aufmerksam und lebendig gehen – und die Liebe Gottes wird mit uns sein.

Fürbitten:

Gott, Du Quelle des Lebens, wir bitten Dich:

– Wir beten für uns Menschen, dass wir ein gesundes Selbstvertrauen und Selbstbewusstsein aufbauen, uns und dem Nächsten zum Segen.

– Wir beten für uns Menschen, dass wir auf die Liebe und Größe Gottes schauen, wissen woher wir kommen und wohin wir einmal gehen und in dieser Weise bescheiden und vertrauensvoll unseren Weg gehen.

– Wir beten für alle Menschen, denen ihre Würde genommen wurde, die kaum Wertschätzung erfahren und klein gemacht werden.

– Wir beten für uns Christen, dass wir aus dem Geist Jesu leben und handeln und wie eine offene Tür sind für alle Armen, Ausgegrenzten, Verachteten und Schwachen.

Gott, erfülle uns mit Deinem Heiligen Geist, damit auch wir eine kleine Quelle des Lebens werden. Darum bitten wir durch Christus, unserem Herrn und Erlöser. Amen.

 

Selbstbewusstsein und Bescheidenheit

22. Sonntag im Jahreskreis

Lk 14, 1.7-14

Euer / Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

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