„Ich bin gekommen, um Feuer auf die Erde zu werfen. Wie froh wäre ich, es würde schon brennen!… Meint ihr, ich sei gekommen, um Frieden auf der Erde zu bringen? Nein, sage ich euch, sondern Spaltung. Denn von nun an werden fünf Menschen im gleichen Haus in Zwietracht leben: Drei werden gegen zwei stehen und zwei gegen drei; der Vater wird gegen den Sohn stehen und der Sohn gegen den Vater, die Mutter gegen die Tochter und die Tochter gegen die Mutter, die Schwiegermutter gegen ihre Schwiegertochter und die Schwiegertochter gegen die Schwiegermutter.“ (Lk 12,49-53)

Harte Worte lesen wir im heutigen Evangelium. Spannungen hat es seit jeher unter den Menschen gegeben. Das gilt auch in der Frage, wie man den Glauben in die Welt tragen kann. Wie gehen wir mit diesen Spannungen um? Auf der einen Seite braucht der Mensch Kommunikation. Er ist auf das Reden mit anderen angewiesen. Ich erlebe es oft bei Sterbefällen, dass derjenige, der zurückbleibt, darunter leidet, dass ihm nun sein vertrautester Ansprechpartner fehlt. Menschen, die uns zuhören, denen wir unsere Erlebnisse mitteilen können, sind uns unverzichtbar.

Umso schlimmer ist es, wenn Menschen im Austausch nicht zueinander finden. Wenn Gespräche immer aggressiver werden und das Unverständnis untereinander wächst, steigt die Spannung im Raum. Am Ende kann es passieren, dass die Gesprächspartner nichts mehr voneinander hören wollen. Manchmal liegen die Ansichten so weit auseinander, dass sich keine Einigung erzielen lässt. Auf den ersten Blick scheinen verschiedene Generationen zu solchen Kommunikationsspannungen zu neigen. Gerade mit Blick auf die Kirche lässt sich das aber nicht generell sagen. Wer heute als junger Mann Priester wird, denkt und handelt nicht unbedingt fortschrittlich. Gleichzeitig habe ich bei meinem kürzlich verstorbenen, fast 80-jährigen Priesterfreund Heinz Withake eine theologisch-kirchliche Weite gespürt und erfahren, die ihresgleichen sucht. Dasselbe habe ich von meinen Besuchen bei Bischof Franz Kamphaus, der mittlerweile 90 Jahre alt ist, auf meinen Weg mitgenommen.

Spannungen in der Glaubensvermittlung hat der Prophet Jeremia erlebt. Er wollte das Wort Gottes verkünden und wurde dabei von den Menschen an den Rand gedrängt – bis in die Zisterne, wo er verhungern und getötet werden sollte. Auch Jesus hat diese Erfahrung gemacht. Der eine Teil jubelte ihm zu; der andere Teil rief zu seiner Kreuzigung auf. Er hat diese Spannung also hautnah erlebt, musste sich täglich mit Menschen auseinandersetzen, die sich als seine Gegner verstanden haben. Er wurde angefeindet, während er immer wieder das Gespräch gesucht hat. Wie ist es in seinem Fall zu diesen Spannungen gekommen?

Wie wir in der Heiligen Schrift lesen können, hat Jesus für die Liebe, für Gott gebrannt. Er war von dieser Liebe innerlich erfüllt und hat alles dafür getan, andere Menschen mit dieser Liebe anzustecken. Durch seine Worte und seine Taten hat er sein Brennen an die Menschen weitergegeben. Wenn wir heute im Lukasevangelium lesen, dass Jesus nicht gekommen ist, um den Frieden zu bringen, sondern die Spaltung, müssen wir daher sehr vorsichtig damit umgehen und dürfen diese Worte nicht abgelöst von seiner Liebesbotschaft lesen. Vor allem seine Aussage in der Bergpredigt, dass jene selig sind, die den Frieden bringen, hat ein großes Gewicht. Lukas hat sein Evangelium etwa 40-45 Jahre nach der Kreuzigung Jesu geschrieben. Offenbar hat er selbst in den Gemeinden dieser Zeit Spannungen erlebt, die er durch die Worte, die er Jesus in den Mund gelegt hat, artikulieren wollte.

Das wichtigste Ziel von Jesus war es, dass die Liebesbotschaft Gottes bei den Menschen ankommt. Das hat jene Spaltung unter die Menschen gebracht, die Lukas in seinem Evangelium beschreibt. Jesus hat sich in erster Linie kompromisslos den Kleinen zugewandt. Im Zentrum der Liebesbotschaft steht das Aufrichten derjenigen, die in der Gesellschaft unten stehen. Wer die Liebe Gottes leben will und sie im Alltag konkret werden lassen möchte, der wird in der Gesellschaft auf Widerstand stoßen. Das war schon damals so. Diejenigen, die in der Gesellschaft oben standen, haben sich an der Botschaft Jesu und ihrer Umsetzung gestoßen. Allein schon die Tatsache, dass sie durch diese Botschaft keine Bestätigung ihres Lebensstiles erhielten, stieß bei ihnen auf Missbilligung. Aber noch mehr: sie mussten sich anhören, dass sie die Kleinen und Schwachen noch kleiner und schwächer gemacht haben. Gleichzeitig mussten sie dabei zuschauen, wie Jesus die Machtlosen derart aufgerichtet hat, dass sie ihre eigene Stärke erkannt haben. Mit ihrer Stärke waren sie plötzlich in der Überzahl gegenüber den wenigen Machthabern, die bisher den Ton angegeben hatten. Die Menschen, die Jesus mit seiner Liebe angenommen hat, fingen plötzlich an, den neuen Glauben zu leben. Sie begannen, die Obrigkeit infrage zu stellen. In Mt 5,37 lesen wir: „Euer Ja sei ein Ja und euer Nein ein Nein“. Damit hat Jesus die Menschen aufgefordert, sich zu ihrem Glauben und ihrer Liebe zu bekennen, ein klares Ja zu sagen, statt in einem undurchsichtigen Jein zu verharren.

Bei dem am 2. Dezember 2019 in Münster verstorbenen Prof. Johann Baptist Metz, einem der bedeutendsten und einflussreichsten Theologen seit dem Zweiten Vatikanischen Konzil und Begründer der neuen politischen Theologie, habe ich im Studium gehört, dass die Gemeinde Christi ein Leben „jenseits bürgerlicher Religion“ führen muss. Das bedeutet nicht, dass Gemeinden keine feierlichen Weihnachts- und Ostergottesdienste mehr feiern sollen, dass sie ihre Liturgie aufgeben müssen, dass sie sich von der feierlichen Gestaltung der Erstkommunion befreien sollen. Vielmehr fragt Metz mit seiner Aufforderung jede christliche Gemeinde an, ob sie an der Seite der Kleinen steht, sie groß macht und Sorge für jeden Menschen trägt. Der Glaube muss im Alltag umgesetzt werden. Da die Kirche immer in der Gefahr steht, sich den Mächtigen anzuschließen und die Kleinen zu vergessen, ist die Aufforderung von Metz äußerst aktuell, auch wenn sie in der Hochzeit der Befreiungstheologie entstanden ist.

Jesus erwartet von den Menschen, dass sie Position beziehen. Daraus entstehen nicht selten Spannungen. Darum setzt er sich immer für den Dialog ein. Menschen sollen sich zusammensetzen und miteinander reden. Im griechischen Wort ‚dialogos‘ steckt das Bild des Hin und Hers. Wie beim Tischtennis der Ball hin- und herfliegt, so muss in einem Dialog der Austausch hin- und hergehen. Der eine spricht, der andere hört zu und nimmt auf, reagiert auf das Gesagte und wirft seine Position zurück zum ersten. Beide müssen bereit sein, den anderen zu Wort kommen zu lassen und ihm zuzuhören. Beide müssen versuchen, die eigenen Gedanken mit denen des anderen zusammenzubringen. Vielleicht lässt sich ein Kompromiss erzielen. Vielleicht müssen aber auch beide erkennen, dass sie so weit voneinander entfernt liegen, dass eine Dialogpause notwendig ist. Kompromisse dürfen niemals ‚faul‘ sein. Vielmehr geht es darum, den anderen zu respektieren, und wenn das nicht geht, ihn zumindest zu akzeptieren, und zugleich ehrlich und wahrhaftig den eigenen Weg zu gehen.

Gerade in der Kirche beobachte ich, dass Menschen ihre Meinung oftmals nicht ehrlich bekennen, weil sie Angst um ihren Arbeitsplatz haben oder weil sie befürchten, dadurch ihr gutes Ansehen zu verlieren. Auf der anderen Seite wird zurzeit die öffentliche Auseinandersetzung zwischen konservativen und liberalen Kräften immer härter. Die Konservativen möchten die kirchlichen Strukturen erhalten, während die Liberalen sie verändern möchten. Traditionalisten stehen gegen Reformchristen. Gegner des synodalen Weges versuchen seine Befürworter kleinzureden. Das Problem ist, dass diejenigen, die gerade die Macht und Entscheidungsgewalt in der Kirche haben, mehrheitlich konservativ sind. Während man in Deutschland durch den synodalen Weg Verbesserungen in der Kirche erzielen möchte, wird dieser Versuch schon im Ansatz aus Rom torpediert. Da merkt man, wie nah wir in dieser Kirche an einer Spaltung sind. Solange die Spannung nicht aufgelöst wird, bleibt die Gefahr bestehen. Wie lange werden die Menschen das – insbesondere hier in Deutschland – noch mittragen? Wie lange werden sie sich noch der Entscheidungsgewalt der Bischöfe beugen, statt ihren christlichen Glauben unabhängig von diesen zu leben?

Der Gefahr der Spaltung können wir nur auf eine einzige Weise begegnen. Es war das Ansinnen Jesu, das Band der Liebe möglichst weit zu spannen. Das muss in dieser Kirche umgesetzt werden; das löst die Spannung. In Psalm 31,9 lesen wir: „Du stellst meine Füße auf weiten Raum“.

Die Liebe Gottes befreit den Menschen. Wir sind zur Freiheit berufen und dürfen unseren je eigenen Weg gehen, solange wir ihn in Liebe gehen. Die Liebe lässt uns zu den Schwachen und zu den Gegnern schauen; sie schenkt unendlichen Rückhalt in schwierigen Situationen. Als Kirche Jesu Christi müssen wir darüber nachdenken, ob wir gerade nicht am Entscheidenden vorbeilaufen. Oder meinen Sie, dass es für die Liebe entscheidend ist, ob ein Priester, der den Gottesdienst feiert, verheiratet ist oder nicht und ob ein Mann am Altar steht oder eine Frau? Denken Sie, dass das die Fragen der Menschen sind, mit denen sie ringen? Ist es nicht vielmehr die Frage der Menschen, ob sie vor Ort einen Seelsorger haben, der sich um die Kleinen und Schwachen kümmert, einen Seelsorger, an den sie sich wenden, dem sie vertrauen, einen Seelsorger, der zuverlässig und treu mit der Gemeinde lebt und auf den sie sich daher verlassen können?

Wenn das Band der Liebe weit gespannt ist, dann können Spannungen zum Leben führen. Dann werden Menschen befreit. Dann können sie trotz ihrer Unterschiedlichkeit in Versöhnung zusammen leben. Dann muss Streit nicht ausschließlich destruktiv sein. Wenn das Band der Liebe weit gespannt ist, dann werden diejenigen Fragen zugelassen, die die Existenz des Menschen, vor allem des Schwachen, betreffen und ihn zum Heil führen. Wenn wir das Brennen der Liebe, das Jesus in unsere Herzen gelegt hat, weitergeben und die Menschen aufrichten, gibt es unendlich viele Wege, die wir gehen können – Wege, die in der Weite unserer Herzen voller Segen sind. Der Psalmist weiß, dass Gott diesen Weg der Liebe mit uns geht und uns bestärkt.

In Gottes Hände legen wir unser Leben und beten:

– um das Feuer Deiner Liebe, dass es in unseren Herzen brennt und dass es in unserem Leben sichtbar und erfahrbar wird.

Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht, Christus, meine Zuversicht, auf Dich vertrau‘ ich und fürcht‘ mich nicht.

– um Frieden in der Welt, dass wir aufhören, Spannungen und Konflikten mit Gewalt zu begegnen.

Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht, Christus, meine Zuversicht, auf Dich vertrau‘ ich und fürcht‘ mich nicht.

– um ein gutes Miteinander, für Respekt, Wertschätzung und Toleranz.

Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht, Christus, meine Zuversicht, auf Dich vertrau‘ ich und fürcht‘ mich nicht.

– um Gelassenheit und Ehrlichkeit in schwierigen Gesprächen.

Meine Hoffnung und meine Freude, meine Stärke, mein Licht, Christus, meine Zuversicht, auf Dich vertrau‘ ich und fürcht‘ mich nicht.

Gott, steh uns mit Deinem Geist der Liebe bei. Heute und alle Tage unseres Lebens. Amen.

Spannungen – Du stellst meine Füße auf weiten Raum

20. Sonntag im Jahreskreis

Lk 12,49-53

Euer / Ihr Pastor

Thomas Laufmöller

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